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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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riesiger Himmel wölbte. Die Boote lagen zu seiner Rechten, neben einer
Fahrrinne. Schäbige Wohnwagen waren an der Zufahrt entlang geparkt,
schmuddelige Wäsche hing zwischen den Fernsehantennen. Er fuhr an einem Zelt
vorbei, das inmitten eines eigenen Gemüsegartens stand, und an einigen
baufälligen Schuppen, die einst militärischen Zwecken gedient hatten. Auf einen
war ein psychedelischer Sonnenaufgang gemalt, der am Abblättern war. Drei alte
Wagen, daneben ein Abfallhaufen. Er parkte und folgte einem Trampelpfad durch
das Schilf zum Strand. Im Naturhafen ankerte ein Schwarm improvisierter
Hausboote, einige davon umgebaute Landungsfahrzeuge aus dem Krieg. Es war
kälter hier und aus irgendeinem Grund auch dunkler. Die Boote, die er zuerst
gesehen hatte, waren Segelboote und lagen, eng zusammengedrängt, meist unter
einer Persenning, ein wenig abseits vertäut. Ein paar Radios spielten, doch er
konnte zunächst niemand sehen. Dann bemerkte er ein Haffwasser und darin
festgemacht einen blauen Dingi. Und in dem Dingi einen knorrigen alten Mann, in
Segeltuchjacke und schwarzer Zipfelmütze, der sich das Genick massierte, als
sei er gerade aufgewacht. »Sind Sie Walter?« fragte Smiley.
    Der Alte schien zu nicken, während
er sich weiterhin das Genick rieb.
    »Ich suche Otto Leipzig. Am Kai hat
man mir gesagt, daß er hier zu finden sei.«
    Walters Augen waren mandelförmig in
eine verschrumpelte, braune Pergamenthaut geschnitten.
    »Isadora«, sagte er.
    Er deutete auf einen wackeligen
Landungssteg weiter unten am Strand. Und tatsächlich, an seinem äußeren Ende
lag die lsadora, eine zwölf Meter lange, völlig abgetakelte
Motorbarkasse, ein Grandhotel, das auf seinen Abbruch wartete. Die Bullaugen
trugen Vorhänge, eines war eingeschlagen, ein anderes mit Tesafilm repariert.
Die Planken des Stegs gaben besorgniserregend unter Smileys Tritt nach. Einmal
wäre er beinahe gestürzt, und zweimal mußte er zur Überwindung von Lücken
seine kurzen Beine gefährlich weit spreizen. Als er am Ende des Stegs
angekommen war, stellte er fest, daß die lsadora abgelegt hatte. Sie war
aus ihren Haltetauen am Heck geschlüpft und drei Meter weit in See gestochen,
eine Fahrt, die wohl die größte ihrer alten Tage bleiben würde. Die
Kabinentüren waren geschlossen, die Fenster mit Vorhängen versehen. Keinerlei
Beiboot.
    Der Alte saß fünfzig Meter entfernt
auf seine Ruder gestützt. Er kam nun aus dem Haffwasser heraus, um besser
beobachten zu können. Smiley legte die Hände um den Mund und gellte: »Wie komm
ich zu ihm hin?«
    »Rufen Sie ihn doch, wenn Sie ihn
brauchen«, antwortete der Alte, ohne dabei die Stimme merklich zu heben.
    Smiley drehte sich wieder zur alten
Barkasse um und rief >Otto<. Zuerst leise, dann lauter, aber im Innern
der Isadora regte sich nichts. Er beobachtete die Vorhänge. Er
beobachtete das ölige Wasser, das an den rostenden Rumpf klatschte.
    Er lauschte und glaubte, Musik zu
hören, die so klang, wie die in Herrn Kretzschmars Klub, aber sie konnte auch
von einem anderen Schiff kommen. Vom Dingi her beobachtete ihn immer noch
Walters braunes Gesicht.
    »Nochmals rufen«, grollte er.
»Rufen Sie doch weiter, wenn Sie wollen, daß er kommt.«
    Doch Smiley wollte sich von dem
Alten nicht herumkommandieren lassen. Er spürte seine Autorität und seine
Verachtung und verübelte ihm beides.
    »Ist er drinnen oder nicht?« rief
Smiley. »Ich habe gesagt, ist er drinnen?«
    Der Alte reagierte nicht.
    »Haben Sie ihn an Bord gehen
sehen?« bohrte Smiley weiter. Er sah, wie der braune Kopf sich abwandte und
wußte, daß der Alte ins Wasser spuckte.
    »Die Wildsau kommt und geht«, hörte
er ihn sagen. »Was zum Teufel schert das mich?«
    »Wann ist er denn das letzte Mal
gekommen?«
    Beim Klang ihrer Stimmen waren ein
paar Köpfe aus den anderen Booten aufgetaucht. Sie starrten Smiley ausdruckslos
an: den kleinen, dicken Fremden, der am Ende des zerbrochenen Stegs stand. Am
Strand hatte sich eine bunt zusammengewürfelte Gruppe gebildet: ein Mädchen in
Shorts, eine alte Frau, zwei gleich angezogene Halbwüchsige. Sie hatten etwas
an sich, das sie trotz ihrer Verschiedenartigkeit verband: eine Sträflingsmiene,
Gehorsam gegenüber denselben üblen Gesetzen.
    »Ich suche Otto Leipzig«, rief
Smiley ihnen allen zu. »Kann jemand mir bitte sagen, ob er in der Gegend ist?«
Auf einem nicht allzuweit entfernten Hausboot ließ ein bärtiger Mann einen Eimer
ins Wasser. Smileys Auge fiel auf ihn. »Ist jemand

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