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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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bis Z. Wieviele Hinterlassenschaften
toter Männer muß ich noch erben? fragte er sich. Wenn wir auch nur den
waagrechten schätzen. Er zupfte die Naht auf. Im Beutel war eine weitere
Schutzhülle, ein Latexgummifutteral, das oben zugeschnürt war. Und darinnen
verborgen ein hartes Stück Pappe, kleiner als ein Zündholzbriefchen. Smiley
faltete es auseinander. Es war die Hälfte einer Ansichtskarte. Schwarzweiß,
nicht einmal farbig. Die Hälfte einer öden Schleswig-Holsteinischen
Landschaft, mit der Hälfte einer Herde von friesischen Rindviechern, die im
grauen Sonnenlicht grasten. Mit absichtlicher Brutalität durchgerissen. Auf
der Rückseite kein Text, keine Adresse, kein Stempel. Nur die Hälfte einer
langweiligen, nicht aufgegebenen Postkarte: Aber sie hatten ihn ihretwegen
gefoltert und umgebracht und die Karte trotzdem nicht gefunden, und auch keinen
der Schätze, zu denen sie den Schlüssel lieferte. Smiley steckte sie mit ihren
Hüllen in die Brusttasche seiner Jacke und ging wieder auf Deck zurück. Der
Alte in seinem Dingi hatte längsseits angelegt. Wortlos kletterte Smiley die
Leiter hinunter. Die Menge am Strand war inzwischen noch größer geworden.
    »Besoffen?« fragte der Alte.
»Schläft seinen Rausch aus?«
    Smiley stieg in das Dingi, und
während der Alte wegruderte, schaute er nochmals auf die Isadora zurück.
Er sah das zerbrochene Bullauge, er dachte an die Verwüstung in der Kabine,
die papierdünnen Seitenwände, durch die er sogar das Schlurfen der Schritte am
Strand hatte hören können. Er stellte sich den Kampf vor und Otto Leipzigs
Schreie, die das ganze Lager mit ihrem Lärm erfüllt hatten. Er stellte sich die
schweigende Gruppe vor, wie sie auf dem Fleck gestanden hatte, wo sie jetzt
auch stand, ohne daß sich eine Stimme, eine helfende Hand erhoben hätte.
    »Es war eine Party«, sagte der Alte
gleichgültig, während er das Dingi am Steg festmachte. »Jede Menge Musik,
Gesang. Haben uns vorher gewarnt, daß es laut werden würde.« Er zerrte an einem
Knoten. »Vielleicht haben sie miteinander gestritten. Na und? 'n Haufen Leute
streiten sich. Sie haben Krach gemacht, Jazz gespielt. Na und? Wir sind
Musikliebhaber hier.«
    »Sie waren von der Polizei«, gellte
eine Frau aus der Gruppe am Strand. »Wenn die Polizei ihre Pflicht tut, dann
hat der Bürger die Klappe zu halten.«
    »Zeigen Sie mir seinen Wagen«,
sagte Smiley.
    Sie gingen in einem ungeordneten
Haufen dahin, den niemand anführte. Der Alte marschierte an Smileys Seite, halb
Wärter, halb Leibwächter, und machte ihm mit possenhafter Würde den Weg frei.
Die Kinder rannten überall herum, hielten sich aber in sicherer Entfernung vom
Alten. Der Volkswagen stand in einem Dickicht und war ebenso verwüstet wie die
Kabine der Isadora. Die Dachpolsterung hing in Fetzen herunter, die
Sitze hatte man herausgenommen und aufgeschlitzt. Die Räder fehlten, doch
Smiley vermutete, daß sie nachträglich abhandengekommen waren. Die
Lagerbewohner standen ehrfürchtig um das Auto geschart, als handle es sich um
»ihr« Ausstellungsstück. Jemand hatte versucht, es anzuzünden, doch das Feuer
war nicht angegangen.
    »Er war nichts wert«, erklärte der
Alte. »Wie die alle hier. Sehen Sie sich die Brüder doch an. Polacken,
Verbrecher, Untermenschen.«
    Smileys Wagen war noch immer da, wo
er ihn geparkt hatte, am Rand des Pfades, dicht neben den Abfallbehältern, und
die beiden blonden, gleich gekleideten Halbwüchsigen standen am Kofferraum und
droschen mit Hämmern auf den Deckel ein. Er konnte sehen, wie ihre Stirnlocken
bei jedem Schlag auf- und niederhüpften. Sie trugen Jeans und schwarze
Stiefeletten, die mit Nieten in Form von Gänseblümchen geschmückt waren.
    »Sagen Sie ihnen, sie sollen
aufhören, auf meinen Wagen einzuschlagen«, sagte Smiley zum Alten.
    Die Lagerbewohner folgten ihnen in
einiger Entfernung. Er konnte wieder das Schlurfen ihrer Schritte hören, wie
eine Armee von Flüchtlingen. Als er mit den Schlüsseln in der Hand seinen
Wagen erreichte, waren die beiden Jungen immer noch über den rückwärtigen Teil
gebeugt und schlugen aus Leibeskräften Darauf ein. Er ging um das Auto herum,
um nachzusehen. Sie hatten den Kofferraumdeckel aus den Scharnieren geschlagen,
ihn gebogen und wieder flach gedengelt, und jetzt lag er wie ein unförmiges
Paket auf dem Boden. Er schaute auf die Räder, doch es schien nichts zu fehlen.
Es fiel ihm nichts mehr ein, wo er noch nachsehen könnte. Da bemerkte er, daß
sie einen

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