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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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braunen,
besitzergreifenden Augen an.
    »Jenny,
hei. Das ist Mr. Standfast vom Foreign Office.«
    »Sehr
angenehm«, sagte Smiley höflich, und nach ein paar Minuten unverbindlichen
Geplauders und dem Versprechen, baldmöglichst Weiteres hören zu lassen, falls
es noch Weiteres gäbe, verabschiedete er sich.
    »Oh, und
fröhliche Weihnachten«, rief Worthington von der Treppe.
    »Ach ja.
Ja, natürlich. Wünsche ich Ihnen auch. Ihnen allen recht fröhliche
Weihnachten.«
    In der
Raststätte taten sie einem gleich Zucker hinein, wenn man nicht ausdrücklich
abwinkte, und sooft die Inderin eine Tasse zubereitete, füllte sich die winzige
Küche mit Dampf. Zu zweien oder dreien aßen schweigende Männer ihr Frühstück,
Abendbrot oder ihren Lunch, je nachdem, wie weit sie in ihrem jeweiligen
Tagesprogramm gekommen waren. Auch hier rückte Weihnachten heran. Sechs
schmierige bunte Glaskugeln baumelten stimmungsvoll über der Theke, daneben
ein Netzstrumpf, der um Hilfe für spastisch gelähmte Kinder bat. Smiley starrte
in eine Abendzeitung, ohne sie zu lesen. In einer Ecke, keine zwölf Fuß von ihm
entfernt, hatte der kleine Fawn die typische Position des Babysitters bezogen.
Seine dunklen Augen lächelten freundlich die Gäste und die Tür an. Er hob die
Tasse mit der linken Hand, während die rechte sich auf Brusthöhe hielt. Ob
Karla wohl so dasaß, überlegte Smiley. Flüchtete Karla sich zu den Arglosen?
Control hatte es getan. Control hatte sich ein komplettes zweites, drittes oder
viertes Leben in einer Zweizimmer-Etagenwohnung gleich am Westlichen Ring
eingerichtet, unter dem schlichten Namen Matthews, der nicht als Alias in den
Akten der Housekeepers erschien. Nun, »komplettes« Leben war übertrieben. Aber
er hatte Kleidung dort gehabt und eine Frau, gleichfalls namens Matthews, sogar
eine Katze. Und jeden Donnerstag frühmorgens in einem Handwerkerclub
Golfunterricht genommen, während er von seinem Schreibtisch im Circus aus seine
Verachtung für die Großen Ungewaschenen, für Golf und für die Liebe kundtat,
und für jedes andere nichtsnutzige menschliche Streben, das ihn insgeheim
gelockt haben mochte. Er hatte sogar einen Schrebergarten gepachtet, erinnerte
sich Smiley, drunten an einem Rangiergleis. Mrs. Matthews hatte es sich nicht
nehmen lassen, Smiley in ihrem blitzenden Morris dorthinzufahren, an dem Tag,
an dem er ihr die Trauerbotschaft überbrachte. Es war der gleiche Verhau, wie
alle anderen Schrebergärten: Einheitsrosen, Wintergemüse, das sie nicht
verwendet hatten, ein Geräteschuppen mit Gartenschlauch und einer Unmenge
Samentüten. Mrs. Matthews war Witwe, fügsam, aber tüchtig. »Ich möchte nur eins
wissen«, hatte sie gesagt, nachdem sie die Zahl auf dem Scheck gelesen hatte.
»Ich möchte nur eins mit Bestimmtheit wissen, Mr. Standfast: ist er wirklich tot oder ist er wieder zurück zu seiner Frau?«
    »Er ist
wirklich tot«, versicherte ihr Smiley, und sie glaubte ihm dankbar. Er
unterließ es, hinzuzufügen, daß Controls Frau schon vor elf Jahren von hinnen
geschieden war, in dem festen Glauben, ihr Mann sei irgend etwas bei der
Energie-Aufsichtsbehörde. Ob Karla in Ausschüssen Hokuspokus machen mußte? Sich
mit Kabalen herumschlagen, die Dummen hinters Licht führen, den Schlauen
schmeicheln, sich in Zerrspiegeln á la Peter Worthington erblicken, gehörte
das alles zu seinem Job? Er blickte auf die Uhr, dann hinüber zu Fawn. Neben
der WC-Tür war ein Münzfernsprecher. Aber als Smiley den Wirt um Kleingeld bat,
lehnte er ab, er habe keine Zeit. »Rück's raus, du mieser Flegel!« schrie ein
ganz in Leder gekleideter Fernfahrer. Der Wirt gehorchte schleunigst. »Glück
gehabt?« fragte Guillam, der den Anruf auf dem direkten Apparat im Circus
entgegennahm.
    »Nicht
schlecht für den Anfang«, sagte Smiley.
    »Hurra«,
sagte Guillam.
    Ein
weiterer Vorwurf, der später gegen Smiley erhoben wurde, lautete, er habe Zeit
für untergeordnete Erledigungen verschwendet, anstatt sie seinen Untergebenen
zu übertragen.
    In der
Nähe des Town-and-Country-Golfplatzes am nördlichen Stadtrand von London gibt
es Wohnblöcke, die den Aufbauten ständig im Sinken begriffener Schiffe ähneln.
Sie liegen hinter langen Rasenstreifen, wo die Blüten niemals so richtig
angehen, die Ehemänner stürzen jeden Morgen gegen halb neun in höchster Panik
zu den Rettungsbooten, und die Frauen und Kinder halten sich den Tag hindurch
über Wasser, bis ihre Mannsleute wiederkommen, zu müde, um noch

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