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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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überraschenderweise einigermaßen überzeugend.
    »Es ist äußerst vertraulich«, sagte Connie zu Mr.  Hibbert mit lauter und deutlicher
Stimme. Auch das hatte sie bereits am Telefon gesagt.
    »Enorm«, brabbelte di Salis bekräftigend und schwang die Arme, bis ein
Ellbogen in einer unmöglichen Stellung auf seinem knubbeligen Knie zur Ruhe
kam; eine fahrige Hand umschloß sein Kinn und kratzte es.
    Der Gouverneur habe einen Mann empfohlen, sagte sie, und jetzt sei es
Sache des Amts, zu entscheiden, ob die Empfehlung an den Palast weiterzuleiten sei. Und bei dem
Wort Palast warf sie einen verhaltenen Blick hinüber zu di Salis, der strahlend,
aber bescheiden lächelte, wie eine Berühmtheit bei einer Talkshow. Seine grauen
Haarsträhnen waren mit Pomade geglättet und sahen aus (so sagte Connie später),
als wären sie für den Bratofen eingefettet.
    »Sie werden also verstehen«, sagte Connie mit der präzisen Aussprache einer weiblichen
Nachrichtensprecherin, »daß sehr eingehende Erkundigungen nötig sind, um
unseren allerhöchsten Stellen Peinlichkeiten zu ersparen.«
    »Der Palast«, echote Mr. Hibbert und blinzelte in di Salis' Richtung. »Das darf nicht
wahr sein. Der Palast, hast du das gehört, Doris?« Er war sehr alt. In den
Unterlagen stand einundachtzig, aber seine Züge hatten ein Alter erreicht, das
sie wieder glättete. Er trug einen runden Ornatskragen, eine dunkle Strickweste
mit aufgenähtem Leder an den Ellbogen, und einen Schal um die Schultern. Die
graue See im Hintergrund bildete einen Hof um sein weißes Haar. »Sir Drake Ko«, sagte er.
»Daran hätte ich nie gedacht, nie im Leben.« Sein Nordlandakzent war so rein,
daß er, wie sein schneeiges Haar, hätte aufgesetzt sein können. »Sir Drake«, wiederholte er. »Das darf nicht
wahr sein. Was, Doris?«
    Eine Tochter saß bei ihnen, blond, zwischen dreißig und fünfundvierzig.
Sie trug ein gelbes Kleid und hatte Puder aufgelegt, aber keinen Lippenstift.
Ihr Gesicht schien seit den Mädchentagen nichts erlebt zu haben außer dem
steten Schwinden aller Hoffnungen. Beim Sprechen errötete sie. Sie sprach
selten. Sie hatte Plätzchen gebacken und papierdünne Sandwiches bereitet. Auf
einem Spitzendeckchen lag ein Gewürzkuchen, und als Teesieb benutzte sie ein
Musselintüchlein, um dessen Rand zur Versteifung Perlen genäht waren. Von der
Decke hing ein gezackter Pergamentschirm in Form eines Sterns. An einer Wand
stand ein Klavier, auf dem Notenhalter war die Partitur von »Lead Kindly Light«
aufgeschlagen. Eine Stickerei mit Motiven aus Kiplings »If« hing über dem leeren
Kamin, und die Samtvorhänge zu beiden Seiten des Fensters, das aufs Meer
hinausging, waren so schwer, daß dahinter ein unbenutztes Stück Leben verborgen
sein konnte. Es waren keine Bücher zu sehen, auch keine Bibel. Ein sehr großes
Farbfernsehgerät stand da, und eine lange Girlande von Weihnachtskarten hing
quer durchs Zimmer. Sie baumelten von der Schnur wie getroffene Vögel auf
halbem Weg zum Boden. Nichts erinnerte an die chinesische Küste, höchstens der
Schatten der winterlichen See. Es war ein Tag ohne Wetter und ohne Wind. Im
Garten hockten Stauden und Kakteen trübsinnig in der Kälte herum. Spaziergänger
hasteten über die Promenade. Sie würden sich gern ein paar Notizen machen,
sagte Connie: denn es gehört zur Circus-Folkore, daß neben dem Abhören auch
Notizen zu machen sind, für alle Fälle und zur Tarnung. »Ja, schreiben Sie
nur«, sagte Mr.  Hibbert aufmunternd. »Wir sind schließlich nicht lauter
Elefanten, wie, Doris? Doris hat nämlich, also sie hat ein fabelhaftes
Gedächtnis, genau wie ihre Mutter.«
    »Also, worauf es uns zunächst ankommt«, sagte Connie - sie achtete
sorgfältig darauf, sich dem Tempo des alten Mannes anzupassen -,' »wir würden
gern, wie wir das bei allen Leumundsbezeugern machen, wie wir sie nennen, genau
feststellen, wie' lange Sie Mr. Ko kannten und welcher Art Ihre Verbindung zu ihm
ist oder gewesen ist.«
    Beschreiben Sie Ihren Zugang zu »Delphin«, sagte sie, nur mit anderen
Worten.
    Wenn alte Menschen von anderen Menschen sprechen, dann reden sie über
sich selber und betrachten ihr eigenes Bild in unsichtbaren Spiegeln.
    »Ich hatte die Berufung von Kindheit an«, sagte Mr. Hibbert. »Mein
Großvater hatte sie. Mein Vater hatte eine große Pfarrei in Macclesfield. Mein
Onkel starb mit zwölf Jahren, aber er hatte sich schon damals der Berufung
versprochen, nicht wahr, Doris? Ich kam mit zwanzig in die

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