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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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Bootsbewohnern, den Chiu Chow. Über die Mutter
haben wir nie etwas rausgekriegt, wie, Doris? >Tot von Gewehren<, sagten
sie. >Tot von Gewehren<. Konnten japanische Gewehre gewesen sein, konnten
Kuomintang-Gewehre gewesen sein. Wir sind der Sache nie auf den Grund gekommen,
warum auch? Der Herr hatte sie zu sich genommen, Amen. Konnten die ganze
Fragerei genausogut bleiben lassen und weitermachen. Klein Nelsons Arm sah
gräßlich aus. Ganz furchtbar. Der gebrochene Knochen stak durch den Ärmel,
wahrscheinlich haben das auch die Gewehre angerichtet. Drake, der hielt Nelsons
heile Hand und hätte sie zuerst weder für Geld noch für gute Worte losgelassen,
nicht einmal, damit der Kleine essen konnte. Wir sagten immer, sie teilten sich
in die gesunde Hand, weißt du noch, Doris? Drake saß am Tisch und hielt ihn
fest gepackt und schaufelte Reis in den Kleinen, was hineinging. Wir haben den
Arzt kommen lassen: er konnte sie auch nicht trennen. Wir mußten uns damit abfinden.
>Du sollst Drake heißen<, sagte ich, >und du Nelson, weil ihr beide
tapfere Seeleute seid, was sagt ihr dazu?< Deine Mutter war auf diese Idee
gekommen, wie, Doris? Sie hätte immer ein paar Jungen gewollt.«
    Doris sah ihren Vateran, wollte etwas sagen, überlegte es sich aber
anders.
    »Sie haben immer ihr Haar gestreichelt«, sagte der alte Mann mit leicht
erstaunter Stimme. »Das Haar deiner Mutter streicheln und Daisys Glocke
schwingen, das taten sie gern. Sie hatten noch nie blondes Haar gesehen. Heh,
Doris, wie wär's noch mit ein bißchen saw. Der meine ist schon ganz kalt, und der ihre bestimmt auch. Saw ist schanghainesisch und heißt Tee«,
erklärte er. »In Kanton sagen sie cha. Wir haben ein paar von den alten Wörtern beibehalten, ich weiß nicht,
warum.«
    Mit einem erbitterten Zischlaut schnellte Doris aus dem Zimmer, und
Connie ergriff die Gelegenheit zum Sprechen. »Mr. Hibbert, wir wußten bis jetzt
nicht, daß er einen Bruder hatte«, sagte sie in leicht vorwurfsvollem Ton. »Er war jünger, sagten
Sie. Zwei Jahre jünger? Drei?«
    »Sie wußten nichts von Nelson?« Der Alte wunderte sich. »Und dabei
liebte er ihn doch so sehr! Nelson war Drakes ganzes Leben. Hat alles für ihn
getan. Wissen nichts von Nelson, Doris!« Aber Doris war in der Küche und
bereitete saw. Connie überprüfte ihre Notizen und lächelte verlegen.
    »Ich fürchte, das ist unsere Schuld, Mr.  Hibbert. Ich sehe hier, daß
die Gouvernementskanzlei die Spalte Geschwister leer gelassen hat. Das wird in Kürze einigen Herrschaften in Hongkong
ziemlich peinlich sein, das sage ich Ihnen. Sie erinnern sich wohl nicht
zufällig an Nelsons Geburtsdatum? Bloß um das Verfahren abzukürzen?«
    »Nein, bei Gott nicht! Daisy Fong würde sich natürlich erinnern, aber
sie ist längst von hinnen geschieden. Hat jedem einen Geburtstag gegeben,
unsere Daisy, auch wenn sie ihn selbst nicht wußten.«
    di Salis zerrte an seinem Ohrläppchen und zog seinen Kopf nach unten:
»Oder seine chinesischen Vornamen?« platzte er mit seiner hohen Stimme heraus.
»Die könnten von Nutzen sein, wenn man nachprüfen will.«
    Mr.  Hibbert schüttelte den Kopf. »Wissen nichts von Nelson! Du lieber
Himmel! Man kann sich Drake gar nicht vorstellen ohne den kleinen Nelson an
seiner Seite. Gehörten zusammen wie Brot und Käse, sagten wir immer. Weil sie
Waisen waren, natürlich.« Von der Diele her hörten sie ein Telefon klingeln
und, zur heimlichen Verwunderung Connies und di Salis', ein deutliches »Zum
Teufel!«, als Doris aus der Küche preschte, um abzunehmen. Sie hörten Fetzen
ärgerlicher Reden neben dem Gezisch des Teekessels. »Und warum nicht? Wenn's die verdammten
Bremsen sind, warum sagen Sie dann, es ist die Kupplung? Nein, wir wollen kein
neues Auto. Wir wollen das alte repariert kriegen, Herrgottnochmal.« Mit einem lauten »Mist« legte sie
auf und kehrte in die Küche zu ihrem pfeifenden Teekessel zurück. »Nelsons
chinesische Vornamen«, erinnerte Connie sanft durch ein Lächeln hindurch, aber
der alte Mann schüttelte den Kopf. »Da müßten Sie die alte Daisy fragen«, sagte
er. »Und die ist schon lang im Himmel, Friede sei mit ihr.« di Salis schien
drauf und dran, die vorgebliche Unwissenheit des Alten zu bezweifeln; aber
Connie brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. Laß ihn weitermachen, flehte ihr
Blick, wenn Sie ihn drängen, verlieren wir das
ganze Spiel.
    Der alte Mann saß auf einem Drehstuhl. Unbewußt hatte er sich 278 im
Uhrzeigersinn langsam

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