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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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aber Lizzie erwähnte Ricardo mit keinem Wort. Sie hielt sich an
die Musik, der sie mit zurückgeneigtem Kopf lauschte. Manchmal hielt sie seine
Hand, und einmal legte sie den Kopf an seine Schulter, und einmal küßte sie ihn
flüchtig und schwebte dann zum Parkett, um einen langsamen einsamen Tanz mit
geschlossenen Augen und leisem Lächeln zu zelebrieren. Die Männer vergaßen ihre
eigenen Mädchen und zogen Lizzie mit ihren Blicken aus. Die chinesischen
Kellner brachten alle drei Minuten frische Aschenbecher, als Vorwand, um ihr in
den Ausschnitt zu linsen. Nach zwei Drinks und einer halben Stunde bekundete
sie eine Leidenschaft für den Duke und den Big-Band-Sound, und sie rasten
zurück zur Insel und zu einem Lokal, das Jerry kannte und wo eine lebende
Philippino-Kapelle recht ordentlich Ellington spielte. Cat Andersen sei das
Beste, sagte sie, was es außer geschnittenem Brot gebe. Ob er einmal Armstrong
und Ellington zusammen gehört habe? Waren sie nicht einfach die Größten?
Wiederum Remy Martin, während sie ihm >Mood Indigo< vorsang. »Hat Ricardo
getanzt?« fragte Jerry.
    »Hat er getanzt?« sagte sie leise dagegen, während sie mit dem Fuß den
Takt schlug und dazu leicht mit den Fingern schnalzte.
    »Dachte, Ricardo hätte gehinkt?« warf Jerry ein.
    »Das hat ihn nie gehindert«, sagte sie, noch immer ganz in die Musik
vertieft. »Ich werde nie zu ihm zurückgehen, verstehen Sie.
    Niemals. Dieses Kapitel ist abgeschlossen. Und wie.«
    »Wo hatte er's her?«
    »Das Tanzen?«
    »Das Hinken.«
    Sie krümmte den Finger um einen imaginären Abzug und feuerte einen
Schuß in die Luft ab.
    »Es war entweder der Krieg oder ein aufgebrachter Ehemann«, sagte sie.
Er ließ es sich wiederholen, und diesmal waren ihre Lippen dicht an seinem Ohr.

Sie kannte ein neues japanisches Restaurant, wo es phantastisches Kobe-Beef gab.
    »Sagen Sie, woher haben Sie diese Narben?«, fragte er, als sie
hinfuhren. Er faßt sich an sein eigenes Kinn. »Die linke und die rechte. Wie
ist das passiert?«
    »Ach, bei der Hätz auf unschuldige Füchse«, sagte sie mit leisem
Lächeln. »Mein lieber Papa war ein Pferdenarr. Ich fürchte, er ist es noch
immer.«
    »Wo lebt er?«
    »Daddy? Ach, das übliche verfallene Schloßgemäuer in Shropshire. Meilen
zu groß, aber sie wollen nicht weg. Kein Personal, kein Geld, drei Viertel des
Jahres eiskalt. Mama kann nicht mal ein Ei kochen.«
    Er hatte sich noch nicht wieder erholt, als ihr eine Bar einfiel, wo
man himmlische Curry-Canapes bekam, also fuhren sie herum, bis sie das Lokal
gefunden hatten, und sie küßte den Barmann. Es gab keine Musik. Er wußte selbst
nicht, wie es zuging, daß er ihr plötzlich von sich und der Waise erzählte. Wie
es zur Trennung kam, verschwieg er aus guten Gründen.
    »Ah, aber Jerry, darling«, sagte sie lehrhaft: »Mit fünfundzwanzig Jahren Unterschied zwischen
Ihnen und ihr, was können Sie da anderes erwarten?«
    Und mit neunzehn Jahren und einer chinesischen Ehefrau zwischen dir und
Drake Ko, was zum Teufel kannst du erwarten? dachte er beinah ärgerlich.
    Sie gingen - nochmals Küßchen für den Barmann -, und Jerry war weder
durch ihre Gesellschaft noch von den Cognac-Sodas so berauscht, daß ihm der
Telefonanruf entgangen wäre, den sie angeblich tätigte, um eine Verabredung
abzusagen, noch die ungewöhnliche Dauer dieses Telefonanrufs noch ihre ziemlich
ernste Miene, als sie zurückkam. Als sie wieder im Wagen saßen, erhaschte er
ihren Blick und glaubte, darin eine Spur von Mißtrauen zu lesen. »Jerry?«
    »Ja?«
    Sie schüttelte den Kopf, lachte, strich ihm mit der Hand übers Gesicht,
dann küßte sie ihn. »Lustig«, sagte sie. Er nahm an, sie verstehe nicht recht,
wieso sie ihn vollständig vergessen haben konnte, wenn sie ihm wirklich damals
dieses Faß ungelagerten Whisky verkauft hatte. Er nahm an, sie überlege ferner,
ob sie ihm wohl, zusammen mit dem Verkauf des Whisky, weitere Dienstleistung
hatte zukommen lassen, von der Art, auf die Craw so unverblümt angespielt
hatte. Aber das war ihr Problem, fand er. Von Anfang an gewesen.
    Im japanischen Restaurant bekamen sie, dank Lizzies Lächeln und anderer
Attribute, den Ecktisch. Sie saß so, daß sie den Raum überblickte, und er saß
da und blickte Lizzie an, was recht hübsch war für Jerry, aber Sarratt zum
hellen Wahnsinn getrieben hätte. Im Kerzenlicht sah er ihr Gesicht sehr
deutlich und nahm zum erstenmal bewußt die Zeichen der Abnutzung wahr: nicht
nur die Krallenspuren an

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