Carre, John le
geben Sie also den Whiskyrebbach aus.« Er streckte die geöffnete
Hand hin, und sie ließ die Schlüssel hineinfallen, damit er ihr die Tür
aufschließen konnte. In stummem Gebärdenspiel gab er ihr die Orchideen zu
halten. Hinter dem schwarzen Peak glomm der noch nicht aufgegangene Vollmond
wie ein Waldbrand. Sie stieg ein, er reichte ihr die Schlüssel, und diesmal
fühlte er die Berührung ihrer Hand und mußte wieder an Happy Valley denken und
an Kos Kuß, als sie abfuhren.
»Darf ich auf dem Rücksitz mitfahren?« fragte er.
Sie lachte und öffnete ihm die Beifahrertür: »Wohin wollen Sie überhaupt
mit diesen prächtigen Orchideen?«
Sie ließ den Motor an, aber Jerry stellte ihn sanft wieder ab, so daß sie
ihn erstaunt anstarrte.
»Altes Haus«, sagte er ruhig. »Ich kann nicht lügen. Ich bin eine
Natter an Ihrem Busen, und ehe Sie mich irgendwohin fahren, sollten Sie sich
anschnallen und die leidige Wahrheit hören.« Er hatte den Augenblick sorgfältig
gewählt, weil er nicht wollte, daß sie sich bedroht fühlte. Sie saß am Steuer
ihres eigenen Wagens, unter der beleuchteten Markise ihres eigenen Wohnblocks,
nur sechzig Fuß von Lawrence, dem Portier, entfernt, und er spielte den reuigen
Sünder, damit sie sich um so sicherer fühlen sollte.
»Unsere zufällige Begegnung war kein reiner Zufall. Das ist Punkt eins.
Punkt zwei, um es gleich ganz ehrlich zu sagen: meine Zeitung hat mich
beauftragt, Sie ausfindig zu machen und Sie mit zahlreichen neugierigen Fragen
über Ihren verstorbenen Kumpel Ricardo zu bestürmen.«
Sie beobachtete ihn noch immer, wartete noch immer. An der Kinnspitze
hatte sie zwei kleine parallellaufende Narben wie ziemlich tiefe Krallenspuren.
Er fragte sich, wer sie ihr beigebracht hatte und womit.
»Aber Ricardo ist tot«, sagte sie viel zu früh.
»Klar«, sagte Jerry beruhigend. »Unstreitig. Aber die Zeitung hat etwas,
was sie gern als heißen Tip bezeichnet, daß er doch noch lebt, und es ist mein
Job, ihr den Willen zu tun.«
»Aber das ist vollkommen absurd!«
»Genau. Total. Die sind verrückt geworden. Der Trostpreis sind zwei
Dutzend gut durchgeknetete Orchideen und das beste Dinner in der Stadt.«
Sie wandte sich von ihm ab und blickte durch die Windschutzscheibe, so
daß ihr Gesicht im vollen Strahl der Lampe war, und Jerry überlegte, wie es
sein mochte, in einem so wunderschönen Körper zu wohnen, ihm vierundzwanzig
Stunden am Tag Ehre zu machen. Ihre grauen Augen öffneten sich ein wenig
weiter, und ihn überkam die boshafte Ahnung, er solle die aufsteigenden Tränen
zur Kenntnis nehmen und die Art, wie ihre Hände sich haltsuchend an das
Steuerrad klammerten. »Entschuldigen Sie«, flüsterte sie. »Es ist nur - wenn
man einen Mann liebt - alles für ihn aufgibt, und er stirbt - und dann, eines
Abends, aus heiterem Himmel -«
»Klar«, sagte Jerry. »Tut mir leid.«
Sie ließ den Motor an. »Warum sollte es Ihnen leid tun? Wenn er lebt,
um so besser. Wenn er tot ist, bleibt alles, wie es ist. Es steht ein Pfund zu
gar nichts.« Sie lachte. »Ric sagte immer, er sei unverwüstlich.«
Es ist, als würde man einen blinden Bettler bestehlen, dachte er. Sie
dürfte nicht allein herumlaufen.
Sie fuhr gut, aber verkrampft, und er schloß daraus, daß sie erst vor
kurzem ihre Fahrprüfung abgelegt hatte und daß der Wagen die Belohnung dafür
war. Es war die ruhigste Nacht der Welt. Als sie zur Innenstadt
hinunterglitten, lag der Hafen wie ein makelloser Spiegel in der Mitte der
Schmuckschatulle. Sie sprachen über Lokale. Jerry schlug das Peninsula vor,
aber sie schüttelte den Kopf.
»Okay. Dann gehen wir zunächst mal auf einen Drink«, sagte er.
»Los, wir wollen tüchtig auf den Zünder hauen!«
Zu seiner Überraschung faßte sie nach seiner Hand und drückte sie. Dann
fiel ihm Craw ein. Das mache sie mit jedem so, hatte er gesagt.
Sie war für eine Nacht von der Kette: das war sein überwältigender Eindruck.
Er erinnerte sich, wie er einmal seine Tochter Cat, als sie noch klein war, aus
der Schule geholt hatte und wie sie eine ganze Menge verschiedener Dinge
unternehmen mußten, um den Nachmittag zu dehnen. In einer dunklen Diskothek in
Kaulun tranken sie Remy Martin mit Eis und Soda. Er vermutete, es sei Kos
Lieblingsdrink, und sie hatte ihn sich angewöhnt, um Ko Gesellschaft zu
leisten. Es war noch früh, und im Lokal waren vielleicht ein Dutzend Leute,
mehr nicht. Die Musik war laut und sie mußten schreien, um sich zu
verständigen,
Weitere Kostenlose Bücher