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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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verdammt großen Bau«, sagte
Luke. Ein Streifenwagen mit blinkenden Lichtern überholte sie. Luke, der
glaubte, daß er angehalten werden sollte, kurbelte sein Fenster herunter. »Wir
sind Presse, ihr Idioten«, brüllte er. »Wir sind Stars, hört ihr?«
    Im Inneren des vorbeirasenden Streifenwagens konnten sie einen
chinesischen Sergeanten und dessen Fahrer ausmachen, im Fond thronte ein würdig
aussehender Europäer, vielleicht ein Richter. Vor ihnen, rechter Hand vom
Fahrdamm, kam der angekündigte Bau in Sicht; ein Käfig aus gelben Tragbalken
und Bambusgerüsten, wimmelnd von schwitzenden Kulis. Kräne, die im Regen
funkelten, hingen wie Peitschen über ihnen. Das Flutlicht kam vom Boden und
wurde hoffnungslos vom Nebel verschluckt. »Halten Sie nach einem niedrigen
Gebäude Ausschau, muß ganz nah sein«, befahl Luke und verlangsamte auf sechzig.
»Weiß. Schauen Sie nach einem weißen Gebäude aus.« Jerry wies darauf hin, ein
zweistöckiger Komplex aus feuchtem Stuck, weder neu noch alt, neben dem Eingang
ein zwanzig Fuß hohes Bambusgestell und ein Krankenwagen. Der Krankenwagen
stand offen, und die drei Fahrer lungerten rauchend darin und beobachteten die
Polizisten, die im Vorhof herumschwärmten, als gälte es, einen Aufstand unter
Kontrolle zu bringen.
    »Er gibt uns eine Stunde Vorsprung vor dem Feld.«
    »Wer?«
    »Rocker. Der Rocker gibt ihn uns. Wer dachten Sie?«
    »Warum?«
    »Wahrscheinlich, weil er mich verprügelt hat. Er liebt mich. Er liebt
Sie auch. Er hat eigens gesagt, ich soll Sie mitbringen.«
    »Warum?«
    Der Regen fiel unaufhörlich.
    »Warum? Warum? Warum?« echote Luke
wütend. »Los jetzt, schnell!«
    Die Bambusstäbe waren überdimensional, höher als die Mauer. Ein paar
orangerot gekleidete Priester suchten unter ihnen Schutz; sie schlugen auf
Zimbeln. Ein dritter hielt einen Regenschirm. Ein paar Blumenstände waren da,
viele Ringelblumen, und Leichenwagen, und von irgendwoher außer Sichtweite
hörte man müßigen Singsang. Die Eingangshalle glich einem Dschungelsumpf und
stank nach Formaldehyd. »Big Moos Sonderkurier«, sagte Luke. »Presse«, sagte
Jerry.
    Die Polizei ließ sie mit einem Kopfnicken durch, niemand wollte ihre
Ausweise sehen.
    »Wo ist der Superintendent?« fragte Luke. Der Formaldehyd-Gestank war
gräßlich. Ein junger Sergeant führte sie. Durch eine gläserne Schwingtür kamen
sie in einen Raum, wo an die dreißig alte Männer und Frauen, die meisten in
Pyjama-Anzügen, phlegmatisch warteten, wie auf einen verspäteten Zug, über
sich die schattenlosen Neonleuchten und einen elektrischen Ventilator. Einer
der alten Männer räusperte sich und spuckte auf den grün gefliesten Boden. Beim
Anblick der riesigen kweilos erstarrten sie in höflichem Staunen. Das Büro des Pathologen war gelb.
Gelbe Wände, gelbe Jalousien, geschlossen; eine nicht funktionierende
Klimaanlage. Der gleiche grüne Fliesenboden, leicht aufzuwaschen. »Toller Geruch«, sagte Luke.
»Anheimelnd«, pflichtete Jerry bei.
    Jerry wünschte sich aufs Schlachtfeld. Auf dem Schlachtfeld war es
leichter. Der Sergeant wies sie an, zu warten und ging weiter voraus. Sie
hörten Bahren quietschen, leise Stimmen, das Zuschlagen einer Gefrierfach-Tür,
das Zischeln von Gummisohlen. Ein Band von »Grey's Anatomy« lag neben dem
Telefon.
    Jerry blätterte darin und starrte die Bilder an. Luke hockte auf einem
Stuhl. Ein Assistent mit kurzen Gummistiefeln und einem Overall brachte Tee.
Weiße Tasse, grüne Ränder, und das Wappen von Hongkong nebst einer Krone.
    »Könnten Sie dem Sergeant bitte sagen, er möchte sich beeilen?« sagte
Luke. »Im Handumdrehen wird die ganze verdammte Stadt hier sein.«
    »Warum wir?« sagte Jerry wieder.
    Luke goß einen Schwall Tee auf den Fliesenboden, und während der Tee in
den Gully rann, schraubte er den Verschluß seiner Whiskyflasche auf. Der
Sergeant kam zurück und winkte ihnen wortlos mit seiner schlanken Hand. Sie
folgten ihm wieder zurück durch den Wartesaal. Dann kam keine Tür mehr, nur ein
Korridor und eine Barriere wie in einer öffentlichen Bedürfnisanstalt, und dann
waren sie da. Als erstes sah Jerry die ramponierte Bahre. Nichts kann so alt
und trostlos aussehen, dachte er, wie ausgediente Krankenhauseinrichtung. Die
Wände waren mit grünem Schimmel überzogen, vom Plafond hingen grüne Stalagtiten,
ein verbeulter Spucknapf war mit gebrauchtem Verbandzeug gefüllt. Sie putzen
ihnen die Nasen aus, erinnerte er sich, ehe sie das Laken herunterziehen

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