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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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Gebiet. Darüber hinaus könnte Nelson uns die Gesamtkapazität sämtlicher
chinesischer Werften liefern. Und nochmals darüber hinaus könnte er uns das
Potential der chinesischen U-Boot-Flotte angeben, die für die Vettern schon
seit Jahren ein Schreckgespenst ist. Und für uns desgleichen, wenigstens
zeitweise, wie ich vielleicht hinzufügen darf.«
    »Danach kann man sich vorstellen, was sie für Moskau ist«, murmelt eine
alte Wühlmaus ungefragt. »Die Chinesen entwickeln zur Zeit vermutlich ihre
eigene Ausführung des russischen U-Boots der G -2 -Klasse«, erklärt di Salis. »Niemand
weiß besonders viel darüber. Haben sie ihr eigenes Modell? Mit zwei oder vier
Abschußrohren? Sind sie mit See-Luft- oder mit See-See-Raketen bestückt?
Welcher Etat ist für sie angesetzt? Es gibt Gerüchte über eine Han-Klasse. Wir
erfuhren, daß sie einundsiebzig ein solches Modell auf Stapel legten.
Bestätigung erhielten wir nie. Vierundsechzig bauten sie angeblich in Dairen
ein Boot der G-Klasse, mit ballistischen Raketen ausgestattet, aber offiziell
hat es noch niemand bestätigt. Und so weiter und so fort«, sagt di Salis
mißbilligend, denn wie die meisten Circusleute hegt er eine tief verwurzelte
Abneigung gegen militärische Angelegenheiten und würde die mehr künstlerischen
Ziele vorziehen. »Für harte und rasche, detaillierte Informationen über diese
Gegenstände würden die Vettern ein Vermögen zahlen. Langley könnte über Jahre
hinweg Hunderte von Millionen für Nachforschung, Überflüge, Satelliten, Abhorchvorrichtungen
und Gott weiß was noch ausgeben - und dennoch kein halb so gutes Resultat
erzielen wie ein einziges Foto. Wenn also Nelson - « Er läßt den Satz in der
Luft hängen, was weit wirkungsvoller ist, als wenn er ihn beendet hätte. Connie
flüstert »Gut gemacht, Doc«, aber noch eine ganze Weile spricht sonst niemand;
sie sind alle gebannt durch Smileys Kritzeln und sein fortgesetztes Studium der
Akte.
    »So gut wie Haydon«, murmelt Guillam. »Besser. China ist die letzte
Grenze. Härteste Nuß in der Branche.«
    Smiley lehnt sich zurück, offenbar hat er seine Berechnungen abgeschlossen.
    »Ricardo flog ein paar Monate nach Nelsons formeller Rehabilitierung
hinüber«, sagt er.
    Niemand sieht sich veranlaßt, dies zu bezweifeln.
    »Tiu reist nach Schanghai, und sechs Wochen später wird Ricardo - «
    Weit im Hintergrund hört Guillam das Telefon der Vettern schnarren, das
in sein Büro durchgestellt wurde, und er behauptet später hartnäckig, in diesem
Augenblick sei Sam Collins' mißfälliges Bild aus seinem Unterbewußtsein
aufgestiegen wie ein Geist aus der Flasche, und wieder einmal habe er sich
gefragt, wie er jemals so unbedacht habe sein können, Sam Collins diesen
eminent wichtigen Brief an Martello abliefern zu lassen. »Nelson hat noch ein
weiteres Eisen im Feuer, Chef«, fährt di Salis genau in dem Moment fort, als
alle glauben, er sei am Ende: »Ich zögere, es als bare Münze weiterzugeben,
aber andererseits wage ich unter den gegebenen Umständen auch nicht, es völlig
auszulassen. Ein eingetauschter Bericht von den Westdeutschen, datiert vor ein
paar Wochen. Nach ihren Quellen ist Nelson seit jüngster Zeit Mitglied einer Gruppe, die wir
mangels Information als The Peking Tea Club bezeichnen, eine Keimzelle, die nach
unserer Meinung zur Koordination der chinesischen Geheimdienstambitionen
geschaffen wurde. Nelson wurde zunächst als Berater in Fragen elektronischer
Überwachung zugezogen und dann als Vollmitglied gewählt. Das Ganze
funktioniert, soviel wir ergründen können, etwa so wie unser Lenkungsausschuß.
Aber ich muß betonen, daß es sich hier um einen Schuß ins dunkle handelt. Wir
wissen nicht das Geringste über die chinesischen Geheimdienste, und die Vettern
auch nicht.« Smiley ist ausnahmsweise um Worte verlegen, er starrt di Salis an,
macht den Mund auf und wieder zu, dann nimmt er die Brille ab und putzt sie.
    »Und Nelsons Motiv?« fragt er und nimmt noch immer nicht Kenntnis vom
unablässigen Schnarren des Vetterntelefons. »Nur ein Schuß ins dunkle, Doc. Wie
würden Sie das sehen?« di Salis zuckt so heftig die Achseln, daß seine fettige
Mähne wie ein Bohnermop fliegt. »Ach, die Mutmaßung, die jeder anstellen
würde«, sagt er gereizt. »Wer glaubt heutzutage noch an M otive? Es wäre völlig natürlich
gewesen, wenn er auf die Anwerbungsversuche in Leningrad angesprochen hätte,
selbstverständlich nur, wenn sie in der richtigen Weise erfolgten.

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