Carre, John le
liegt nichts an einer Menge
Prozesse hier draußen. «Die Dörfler waren jetzt auf den Lastwagen. Sie fuhren
weg, ohne zurückzublicken. Nur die Kinder winkten über die Rückplanke. Die
Jeeps folgten den Lastwagen, zurück blieben die drei Männer und die beiden
Autos und ein Junge von vielleicht fünfzehn Jahren. »Wer ist er?« sagte Jerry.
»Er kommt mit uns. Nächstes Jahr, vielleicht übernächstes, erschieße
ich ihn auch.«
Jerry fuhr neben dem Colonel im Jeep, der Colonel chauffierte» Der
Junge saß teilnahmslos hinter ihnen und murmelte nur ja und nein, während der
Colonel ihm in festem, mechanischem Tonfall eine Ansprache hielt. Mickey folgte
mit dem Taxi. Auf dem Boden des Jeeps, zwischen Sitz und Pedalen, hatte der
Colonel vier Granaten in einer Pappschachtel liegen. Ein kleines Maschinengewehr
lag quer über dem Rücksitz, und der Colonel geruhte nicht, es wegen des Jungen
dort wegzunehmen. Über dem Rückspiegel hing neben den Heiligenbildern ein
Postkartenfoto von John Kennedy mit dem Text »Frage nicht, was dein Land für
dich tun kann, Frage lieber, was du für dein Land tun kannst.« Jerry hatte sein
Notizbuch gezückt. Der Colonel redete noch immer auf den Jungen ein.
»Was sagen Sie zu ihm?«
»Ich erkläre ihm das Wesen der Demokratie.«
»Und das wäre?«
»Kein Kommunismus und keine Generale«, erwiderte er und lachte.
An der Hauptstraße bogen sie rechts ein, weiter ins Landesinnere, und
Mickey folgte in seinem roten Ford. »Mit Bangkok verhandeln ist genauso, wie
wenn man auf den hohen Baum da klettert«, sagte der Colonel zu Jerry und wies
zum Wald hinüber. »Man klettert auf einen Ast, steigt weiter, auf den nächsten,
der Ast bricht ab, man steigt wieder hinauf. Vielleicht kommt man eines Tages
bis zum obersten General. Vielleicht auch nie.«
Zwei kleine Kinder winkten vom Straßenrand, und der Colonel hielt an,
damit sie sich neben den Jungen quetschen konnten. »Ich tue das nicht sehr
oft«, sagte er und lächelte wieder unvermittelt. »Ich tue das, damit Sie sehen,
ich bin ein netter Mensch. Wenn die KTs spitzkriegen, daß man wegen der Kinder
anhält, dann richten sie die Kinder dazu ab. Man muß ständig wechseln. Nur dann
bleibt man am Leben.« Er war wieder in den Wald eingeschwenkt. Sie fuhren ein
paar Meilen und ließen die kleinen Kinder aussteigen, nicht aber den mürrischen
Jungen. Die Bäume wichen trostlosem Buschland. Der Himmel wurde weiß, nur die
Umrisse der Berge ragten aus dem Nebel.
»Was hat er getan?« fragte Jerry.
»Der? Er ist ein KT«, sagte der Colonel. »Wir fangen ihn.« Im Wald sah
Jerry etwas golden blitzen, aber es war nur ein wat. »Letzte Woche macht einer meiner
Polizisten Spitzel für KT. Ich schicke ihn auf Patrouille, erschieße ihn, mache
großen Helden aus ihm. Ich verschaffe der Frau eine Rente, ich kaufe große
Fahne für den Sarg, mache großes Begräbnis, und das Dorf wird ein bißchen
reicher. Der Bursche ist kein Spitzel mehr. Er ist ein Volksheld. Man muß die
Bevölkerung für sich gewinnen.«
»Ganz recht«, bestätigte Jerry.
Sie kamen zu einem weiten trockenen Reisfeld, in dessen Mitte zwei
Frauen den Boden bearbeiteten, sonst war nichts zu sehen außer einer entfernten
Hecke und felsigem Dünenland, das sich in den weißen Himmel verlief. Mickey
mußte im Ford sitzenbleiben, Jerry und der Colonel wanderten über das Feld, der
mürrische Junge schlurfte hinterdrein. »Sie sind Brite?«
»Ja.«
»Ich war auf der Internationalen Polizeiakademie in Washington«, sagte
der Colonel. »Sehr hübsch dort. Ich habe an der Michigan State Law Enforcement
studiert. Ging uns nicht schlecht dort. Würden Sie bitte ein bißchen Abstand
von mir halten?« fragte er höflich, als sie bedächtig über einen Sturzacker
stapften. »Ich werde erschossen, nicht Sie. Wenn sie einen farang erschießen, kriegen sie hier zu
viel Scherereien. Das wollen sie nicht. Niemand erschießt einen farang in meinem Bezirk.« Sie waren bei
den Frauen angekommen. Der Colonel sagte etwas zu ihnen, ging ein Stück weiter,
blieb stehen, schaute sich zu dem mürrischen Jungen um, kehrte zu den Frauen
zurück und sagte nochmals etwas zu ihnen. »Worum geht's?« sagte Jerry.
»Ich frage sie, ob's in der Gegend KTs gibt. Sie sagen nein. Dann denke
ich: vielleicht wollen die KTs den Jungen da wiederhaben. Also geh ich zurück
und sage zu ihnen: >Wenn irgendwas passiert, erschießen wir euch Weiber
zuerst<.« Jetzt waren sie an der Hecke. Vor ihnen lagen die
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