Carre, John le
Nähe der Pendlerstadt
Maresfield in Sussex, und beinah immer fanden sie einen Vorwand, hinzufahren.
Außer di Salis und einem beträchtlichen Teil seines China-Archivs mußte eine
kleine Armee von Übersetzern und Transskriptions-Spezialisten untergebracht
werden, ganz zu schweigen von den Technikern, Babysittern und einem
chinesischsprechenden Arzt. Es dauerte nicht läng, bis die Bürger des Orts sich
bei der Polizei lautstark über den Zustrom von Japanern beklagten. Die
Regionalzeitung schrieb, es handle sich um eine Tanztruppe auf Tournee. Der Tip
stammte von den Housekeepers.
Jerry
hatte nichts im Hotel abzuholen, und zudem hatte er überhaupt kein Hotel, aber
er schätzte, daß er eine Stunde Zeit haben würde, um sich aus dem Staub zu
machen. Er zweifelte nicht daran, daß die Amerikaner die ganze Stadt
abgeriegelt hatten, und er wußte, nichts würde - falls London es verlangen
sollte - für Major Masters einfacher sein, als Jerrys Namen und
Personenbeschreibung als die eines amerikanischen Deserteurs, der mit falschem
Paß reiste, über den Rundfunk durchzugeben. Daher ließ er das Taxi, sobald es
weit genug vom Tor entfernt war, zum südlichen Stadtrand fahren, dann wartete
er eine Weile, nahm ein zweites Taxi und dirigierte es nach Norden. Feuchter
Nebel hing über den Reisfeldern, und die schnurgerade Straße lief endlos in
diesen Nebel hinein. Aus dem Radio leierten die Stimmen von Thaifrauen, es
klang wie ein langgezogener, nicht endender Kinderreim. Sie fuhren an einer
elektronischen Überwachungsanlage der Amerikaner vorbei, einem kreisförmigen
Drahtzaun von einer Viertelmeile Durchmesser, der im Nebel schwamm und bei den
Einheimischen der Elefantenkäfig hieß. Der Umkreis war mit riesigen Pfählen
abgesteckt, und in der Mitte brannte, umgeben von Spinnennetzen aus gespanntem
Draht, ein einzelnes höllisches Licht wie die Verheißung eines künftigen
Krieges. Er hatte gehört, hier hausten zwölfhundert Sprachenstudenten, aber
keine Menschenseele war zu sehen. Er brauchte Zeit, und es gelang ihm sogar,
sich mehr als eine Woche zu verschaffen. Sogar jetzt brauchte er so viel Zeit,
um zu sich selbst zu kommen; denn im Herzen war Jerry Soldat und dachte mit den
Füßen. Im Anfang war die Tat, pflegte
Smiley, wenn er in seiner Predigerstimmung war, aus einem seiner deutschen
Dichter zu zitieren. Für Jerry war diese schlichte Maxime zur Säule seiner
unkomplizierten Philosophie geworden. Was man denkt, ist jedermanns
Privatsache. Wichtig ist, was man tut.
Als er am
frühen Abend den Mekong erreichte, suchte er sich ein Dorf und streunte ein
paar Tage lang müßig am Flußufer entlang, schleppte seine Umhängetasche und
kickte mit den Zehen seines Wildlederstiefels leere Coca-Cola-Dosen vor sich
her. Jenseits des Flusses, hinter den braunen Bergen, die wie Ameisenhügel
aussahen, lag der Ho-Chi-Minh-Pfad. Er hatte einmal von genau dieser Stelle aus
beobachtet, wie eine B 52 drei Meilen entfernt in Zentral-Laos angriff. Er
erinnerte sich, wie der Boden unter seinen Füßen geschwankt, der Himmel sich
geleert und gebrannt hatte, und ihm wurde bewußt, einen Augenblick lang klar
bewußt, was es bedeutete, mittendrin zu sein.
Noch in
der gleichen Nacht hieb Jerry Westerby, um seine eigene Redewendung zu
gebrauchen, tüchtig auf die Pauke, ziemlich genau so, wie die Housekeepers es
von ihm erwarteten, wenn auch unter etwas anderen Umständen. In einer Bar am
Fluß, wo eine Musikbox alte Weisen plärrte, trank er Schwarzmarktwhisky aus dem
PX, Nacht für Nacht, bis das Vergessen sich einstellte, führte eines der
lachenden Mädchen nach dem anderen die unbeleuchtete Treppe in ein schäbiges
Schlafzimmer hinauf, bis er schließlich dort wirklich einschlief und nicht mehr
herunterkam. Erwachte er dann ruckartig und mit relativ klarem Kopf in der
Morgendämmerung am Krähen der Hähne und dem Lärm auf dem Fluß, so zwang er
sich, lang und liebevoll an seinen Kumpel und Mentor George Smiley zu denken.
Es war ein reiner Willensakt, beinah ein Akt des Gehorsams. Er wollte ganz
einfach die Glaubensartikel seines Credos hersagen, und sein Credo war bisher
der gute alte George gewesen. Die Leute in Sarratt haben viel Verständnis für
die Motive eines Außenagenten, und gar nichts übrig für den augenrollenden
Fanatiker, der mit den Zähnen knirscht und »Ich hasse den Kommunismus« blökt.
Wenn er ihn so sehr haßt, argumentieren sie, dann dürfte er bereits in ihn
verliebt sein. Was sie wirklich gern hatten -
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