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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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dachte,
wie schon so oft, daß er ihn bis zum heutigen Tag nicht besser kenne als zur
Zeit ihrer ersten Begegnung, damals in den dunklen Tagen des Kalten Kriegs in
Europa. Wohin verschwand er zu den unmöglichsten Tageszeiten? Wollte er in
Ruhe von Ann träumen? Von Karla? In welcher Gesellschaft hatte er sich bewegt,
wenn er um vier Uhr morgens ins Hotel zurückkehrte? George wird doch nicht
einen zweiten Frühling durchmachen, dachte er. Gestern Nacht um elf war ein
Aufschrei aus London eingetroffen, und Guillam war hier heraufgetrabt, um ihn
in Empfang zu nehmen. Westerby abgängig, hieß es. London fürchtete, Ko habe ihn
ermordet oder, noch schlimmer, entführt und gefoltert, und somit würde das
Unternehmen platzen. Guillam hielt es für wahrscheinlicher, daß Jerry sich auf
dem Weg nach London mit ein paar Flughostessen irgendwo ein Nest gebaut hatte,
aber der Dringlichkeitsvermerk ließ ihm keine Wahl, er mußte Smiley wecken und
ihm Mitteilung machen. Er rief in Smileys Hotelzimmer an und erhielt keine
Antwort, also machte er sich auf und hämmerte an Smileys Tür, und schließlich
blieb ihm nichts anderes übrig, als das Schloß zu knacken, denn jetzt hatte die
Panik von Guillam Besitz ergriffen: er glaubte, Smiley sei krank geworden. Aber
Smileys Zimmer war leer, das Bett unberührt, und als Guillam ein bißchen
herumstöberte, entdeckte er fasziniert, daß der alte Außenmann sich die Mühe
gemacht hatte, falsche Monogramme in seine Hemden zu nähen. Das war aber auch'
alles, was er entdeckte. Er setzte sich also in Smileys Sessel, döste ein und
erwachte erst um vier Uhr durch ein winziges Geräusch. Er schlug die Augen auf
und sah Smiley, der sich über ihn beugte und ihn aus zwanzig Zentimeter
Entfernung anlinste. Wie er so lautlos ins Zimmer gelangt war, wußte Gott
allein. »Gordon?« fragte Smiley leise. »Was kann ich für Sie tun?«, denn sie
kannten sich natürlich rein beruflich und mußten annehmen, daß die Zimmer mit
Wanzen versehen waren. Deshalb sagte Guillam auch nichts, sondern überreichte
Smiley nur den Umschlag mit Connies Botschaft, die er las, nochmals las und
dann verbrannte. Guillam war beeindruckt, wie ernst er die Meldung nahm.
Ungeachtet der frühen Morgenstunde bestand er darauf, sofort zum Konsulat zu
gehen und alles Nötige zu veranlassen, also ging Guillam mit ihm und trug sein
Gepäck. »Lehrreicher Abend?« fragte Guillam leichthin, als sie die kurze
Strecke hügelan marschierten.
    »Oh, in
etwa, vielen Dank, in etwa«, erwiderte Smiley, ehe er wieder einmal verschwand,
und das war alles, was Guillam oder irgend jemand sonst über seine nächtlichen
oder sonstigen Wanderungen aus ihm herausbringen konnte. Während Guillam über
all das nachdachte, hatte Smiley mit harten Daten zum anhängigen Unternehmen
aufgewartet, und zwar auf eine Weise, die keinerlei Rückfragen duldete.
    »Äh,
George, wir können uns darauf verlassen, wie?« hatte Martello bei Smileys
ersten Angaben gefragt. »Wie? Ja, ja, das können Sie.«
    »Großartig.
Großartige Leistung, George. Ich bewundere Sie«, sagte Martello herzlich nach
einer weiteren ratlosen Pause, und danach nahmen sie es, wie es kam, sie hatten
keine andere Wahl. Denn niemand, nicht einmal Martello, wagte Smileys Autorität
anzuzweifeln.
    »Das macht
wie viele Fischtage, Murphy?« fragte Martello jetzt. »Die Flotte wird sieben
Tage lang gefischt haben und hoffnungsfroh mit vollen Behältern nach Kanton
kommen, Sir.«
    »Paßt das,
George?«
    »Ja, o ja,
nichts hinzuzufügen, vielen Dank.« Martello fragte, um welche Zeit die Flotte
die Fischgründe verlassen müßte, damit Nelsons Dschunke morgen abend rechtzeitig
zum Rendezvous käme.
    »Ich habe
elf Uhr morgen vormittag angesetzt«, sagte Smiley, ohne von seinen Notizen
aufzublicken, »Ich auch«, sagte Murphy.
    »Diese
Ausreißerdschunke, Murphy«, sagte Martello mit einem weiteren ehrfurchtsvollen
Blick auf Smiley. »Ja, Sir«, sagte Murphy.
    »Kann sie
sich so ohne weiteres von der Meute lösen? Unter welcher Legende würde sie in
die Gewässer von Hongkong einlaufen?«
    »Passiert
ständig, Sir. Rotchinesische Dschunkenflotten arbeiten nach einem kollektiven
Fangsystem ohne Rücksicht auf die Einzelergebnisse, Sir. Folge ist, daß immer
wieder einzelne Dschunken bei Nacht ausbrechen, unbeleuchtet einlaufen und ihre
Fische an die Leute auf den Außeninseln für gutes Geld verkaufen.«
    Smiley
hatte sich zur Karte der Insel Po Toi an der anderen Wand umgewandt und hielt
den

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