Carre, John le
Kellner
küßte.
»Ich war
eine Art Requisit zur Tatvorbereitung«, erklärte er ihr. »Tut mir leid. Sonst
tut mir nichts leid. Und passen Sie auch auf diesen Schuft Ko auf. Denn wenn's
die dort nicht fertigbringen, ihn umzulegen, dann tu's vielleicht ich.« Er
berührte die Spuren an ihrem Kinn, dann schlurfte er zur Tür, wo Fawn stand,
und drehte sich nochmals um, um sich von Smiley zu verabschieden, der wieder
allein war. Collins war zum Telefonieren weggeschickt worden. Smiley stand in
einer Haltung da, die Jerry so vertraut an ihm war, die kurzen Arme leicht
angehoben, den Kopf ein bißchen zurückgebeugt und im Gesicht einen halb
schuldbewußten, halb fragenden Ausdruck, als hätte er gerade seinen Regenschirm
in der U-Bahn vergessen. Lizzie hatte sich von den beiden Männern abgewandt und
sortierte immer noch automatisch ihre Schallplatten. »Also, Grüße an Ann«,
sagte Jerry. »Danke.«
»Sie haben
unrecht, altes Haus. Weiß nicht wie, weiß nicht warum, aber Sie haben unrecht.
Na ja, vermutlich ist es jetzt schon zu spät.« Wieder wurde ihm übel und sein
Schädel dröhnte von den Schmerzen in seinem Körper. »Bloß einen Fußbreit
näher«, sagte er zu Fawn, »und ich brech dir endgültig dein verdammtes Genick,
verstanden?« Er wandte sich wieder an Smiley, der noch in genau der gleichen
Haltung dastand und durch nichts erkennen ließ, ob er etwas gehört hatte. »Also
dann, alles Gute«, sagte Jerry.
Mit einem
letzten Nicken, das jedoch nicht dem Mädchen galt, hinkte Jerry hinaus in den
Korridor, Fawn hinterher. Als sie auf den Lift warteten, sah er den eleganten
Amerikaner unter seiner offenen Wohnungstür stehen und seinen Abtransport beobachten.
»Ach ja,
Sie hätte ich fast vergessen«, rief Jerry sehr laut. »Sie sorgen für die Wanzen
in ihrer Wohnung, wie? Die Briten erpressen sie, und die Yankees belauschen
sie, das Glückskind kriegt's von allen Seiten.«
Der
Amerikaner verschwand und schloß rasch die Tür hinter sich. Der Lift kam und
Fawn stieß ihn hinein.
»Hände
weg«, warnte ihn Jerry. »Der Name dieses Herrn hier ist Fawn«, teilte er den
übrigen Liftbenutzern in lauter Stimme mit. Die meisten trugen Smoking und
Pailettenkleider. »Er arbeitet beim britischen Geheimdienst und hat mir gerade
vorhin die Eier poliert. Die Russen kommen«, schrie er in die teigigen
gleichgültigen Gesichter. »Sie werden euch euer ganzes verdammtes Geld
wegnehmen.«
»Besoffen«,
sagte Fawn angewidert.
In der
Halle beäugte ihn Lawrence, der Portier, mit deutlichem Interesse. Vor der Tür
wartete eine blaue Peugeot-Limousine. Peter Guillam saß am Steuer. »Einsteigen«,
herrschte er Jerry an.
Die Tür
zum Beifahrersitz war abgeschlossen. Jerry kletterte in den Fond, Fawn folgte.
»Was zum
Teufel fällt Ihnen denn eigentlich ein?« fragte Guillam durch die
zusammengebissenen Zähne. »Seit wann reißen lausige Tagelöhner mitten in der
Operation das Steuer herum?«
»Vorsicht«,
warnte Jerry Fawn. »Bloß ein falscher Blick, und es kracht. Mein voller Ernst.
Ich warne Sie. Offiziell.« Der Bodennebel war wieder eingefallen und wallte
über den Kühler. Die vorüberhuschende Stadt präsentierte sich wie Bildausschnitte
aus einem Trödelmarkt: ein gemaltes Bild, ein Schaufenster, Kabelstränge, die
von einer Neonlampe hingen, ein Büschel erstickten Laubwerks; die
unvermeidliche Baustelle unter Flutlicht. Im Spiegel sah Jerry einen schwarzen
Mercedes nachfolgen, männlicher Fahrgast, männlicher Fahrer. »Die Vettern
bilden das dicke Ende«, verkündete er. Ein Schmerzanfall im Unterleib ließ ihn
fast ohnmächtig werden, und einen Moment lang glaubte er tatsächlich, Fawn habe
ihn wieder geschlagen, doch es war noch die Nachwirkung vom erstenmal. In der
Central Street bat er Guillam, anzuhalten, und kotzte vor den Augen der
Passanten in den Rinnstein. Während er den Kopf durchs Fenster streckte,
kauerte Fawn über ihm. Der Mercedes hinter ihnen hielt ebenfalls.
»Geht
nichts über ein bißchen Schmerz«, rief er und setzte sich wieder hin, »damit
das alte Hirn ab und zu wieder in Schwung kommt. Was, Peter?«
Guillam,
der vor Zorn kochte, gab eine obszöne Antwort. »Sie verstehen nicht, was vorgeht, hatte
Smiley gesagt. Wie sehr Sie alles
durcheinanderbringen können. Milliarden Dollar und Tausende von Menschen
könnten nicht einen Bruchteil dessen erobern, was wir zu gewinnen haben . . . «
Wie? fragte er sich immer wieder. Was zu gewinnen? Nelsons Stellung in China war ihm
Weitere Kostenlose Bücher