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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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Einen
Augenblick lang war alles für ihn eine einzige versinkende Welt - dies hier,
Phnom Penh, Saigon, London; eine geborgte i Welt, und jetzt klopften die Gläubiger an die Tür, und
Jerry selber bildete aus unerklärlichen Gründen einen Teil der Schuld, die
eingefordert wurde.
    Ich war diesem Amt immer dankbar dafür, daß es mir Gelegenheit gab,
abzuzahlen. Fühlst du dich auch so? jetzt? Als Überlebender, sozusagen?
    Ja,
George, dachte er. Leg mir die Worte in den Mund, alter Junge. Genauso fühle
ich mich. Aber vielleicht nicht ganz in dem Sinn, wie du es gemeint hast, altes Haus. Er sah Frosts lustiges,
lebensfrohes kleines Gesicht, als sie tranken und feierten. Er sah es ein
zweitesmal, in diesem grauenvollen Schrei erstarrt. Er spürte Lukes
Freundeshand auf seiner Schulter und sah die gleiche Hand auf dem Fußboden
liegen, über den Kopf zurückgestreckt, wie um einen Ball zu fangen, der nie
kommen würde, und er dachte: der Haken ist der, altes Haus, daß in Wirklichkeit
die anderen armen Teufel zur Kasse gebeten werden. Wie zum Beispiel Lizzie.
    Er würde
das eines Tages George gegenüber zur Sprache bringen, falls sie jemals, bei
einem Gläschen, auf die Gretchenfrage zurückkommen sollten, warum wir
eigentlich den Berg erklimmen. Er würde dann - nicht aggressiv, nicht daß ich
Ihnen zu nahe treten möchte, altes Haus - darauf hinweisen, wie selbstlos und
bereitwillig wir andere Menschen opfern, wie zum Beispiel Luke und Frost und
Lizzie. George würde natürlich eine gute Antwort parat haben, vernünftig,
wohlerwogen, rechtfertigend. George sah das große Ganze. Begriff das Gebot der
Stunde. War ganz natürlich. Er war eine Eule.
    Der
Hafentunnel kam näher, und er dachte an ihren bebenden letzten Kuß und
erinnerte sich gleichzeitig an die Fahrt zum Leichenschauhaus, denn vor ihnen
stieg das Gerüst eines Neubaus aus dem Nebel, und es war hell erleuchtet wie
das Gerüst auf der Fahrt zum Leichenschauhaus, und schweißglänzende Kulis mit
gelben Helmen krabbelten darauf herum. Tiu kann sie auch nicht leiden, dachte
er. Kann keine Rundaugen leiden, die über die Geheimnisse des Großen Herren
plaudern. Er zwang seine Gedanken in eine andere Richtung und versuchte, sich
vorzustellen, was sie mit Nelson machen würden: staatenlos, heimatlos, ein
Fisch, den man fressen oder wieder ins Meer zurückwerfen konnte, ganz wie's
beliebte. Jerry hatte schon einige solcher Fische gesehen: er war dabeigewesen,
als man sie fing; als sie einem Blitzverhör unterzogen wurden; er hatte schon
mehr als einen wieder über die Grenze abgeschoben, die sie erst vor so kurzer
Zeit überschritten hatten, damit sie schleunigst wieder in Umlauf gesetzt würden, wie der Sarratt-Jargon es so
reizend ausdrückte - »schnell, bevor sie überhaupt merken, daß er weg gewesen
war«. Und wenn sie ihn nicht zurückschickten? Wenn sie ihn behielten, diesen
stolzen Siegespreis, nach dem sie alle gierten? Dann würde Nelson, nach den Jahren
des Ausquetschens, nach zwei oder drei Jahren - er hatte gehört, manchmal
dauerte es sogar fünf -, sich zur Schar der Ewigen Juden des Spionagegewerbes
gesellen, versteckt werden und wieder in Bewegung gesetzt, aufs neue versteckt,
und von keinem geliebt, nicht einmal von denen, an die er seinen Glauben
verriet.
    Und was wird Drake mit Lizzie anstellen, fragte er
sich, während dieses kleine Drama seinen Lauf
nimmt? Welchem Schlamassel geht sie diesmal entgegen?«
    Sie hatten
den Zugang zum Tunnel erreicht und waren fast zum Stehen gekommen. Der Mercedes
war direkt hinter ihnen. Jerry ließ den Kopf nach vorne fallen. Er legte beide
Hände an die Leisten, schwankte vor und zurück und keuchte vor Schmerz. Aus
einem improvisierten Polizeiposten, der einem Schilderhäuschen glich, lugte ein
chinesischer Schutzmann neugierig herüber. »Wenn er zu uns herkommt, sagen Sie,
wir haben einen Betrunkenen im Wagen. Zeigen Sie ihm das Erbrochene auf dem
Boden«, fauchte Guillam.
    Sie
krochen in den Tunnel. Wegen des schlechten Wetters waren die Wagen auf zwei
Fahrspuren in nördlicher Richtung Nase an Heck aufgereiht. Guillam hatte die
rechte Spur gewählt, der Mercedes hielt in gleicher Höhe auf der linken. Im
Spiegel sah Jerry durch die halbgeschlossenen Lider einen braunen Lastwagen,
der hinter ihnen langsam bergab zuckelte. »Geben Sie mir Kleingeld«, sagte
Guillam »Ich brauche Kleingeld, wenn ich rausfahre.«
    Fawn grub
in seinen Taschen, wobei er nur eine Hand benutzte. Der Tunnel rüttelte

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