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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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zurückgelassen
worden, Martello unverzüglich zu benachrichtigen, falls das Schiff die Anker
lichten oder einer der beiden Obengenannten an Land gehen sollte. »Dann müssen
wir sofort hin«, sagte Smiley. Also drängten sie sich wieder in den Wagen, und
während Guillam dickurze Strecke nach Star Heights fuhr, vor sich hinkochte und
hilflos der knappen Unterhaltung zu folgen versuchte, festigte sich mit jeder
Sekunde seine Überzeugung, daß er ein Spinnennetz vor sich habe und daß nur
George Smiley, besessen von der Verheißung des Unternehmens und von Karlas
Bild, so kurzsichtig und vertrauensselig, und, auf seine besondere bizarre Art,
auch so unschuldsvoll sein konnte, geradewegs mittenhinein zu stolpern. Georges
Alter, dachte Guillam.  Enderbys politischer Ehrgeiz, seine Vorliebe für den
pro-amerikanische Falken-Stil - ganz zu schweigen von der Kiste Champagner und
seiner übertriebenen Beweihräucherung der hinten Etage. Lacons halbherzige Unterstützung
Smileys, während er insgeheim das Auge schweifen ließ und einen Nachfolger
suchte. Martellos Zwischenlandung in Langley. Enderbys Versuch, erst vor ein paar Tagen, Smiley aus dem Unternehmen
auszubooten und es Martello auf dem Präsentierteller zu servieren. Und jetzt,
und das war das Beredtste und Bezeichnendste von allem, das Wiederauftauchen
von Sam Collins als Joker im Spiel, mit einem direkten Draht zu Martello! Und
Martello, der Himmel sei uns gnädig!, stellte sich an, als wüßte er nicht, woher
George seine Informationen bezog - als gäbe es keinen direkten Draht.
    Für
Guillam liefen alle diese Fäden in einem einzigen Punkt zusammen, und er konnte
es kaum erwarten, bis er Smiley beiseite nehmen und ihn mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln genügend weit und wenigstens für einen Augenblick vor seinem
Vorhaben abbringen könnte, nur damit er wissen würde, worauf er sich einließ.
Bis er ihm die Sache mit dem Brief erzählen könnte. Von Sams Besuch bei Lacon
und Enderby in Whitehall. Aber nein! Er sollte statt dessen zurück nach
England! Und warum sollte er zurück nach England? Weil ein reizender,
dickköpfiger Lohnschreiber namens Westerby die Dreistigkeit besessen hatte,
sich von der Leine loszureißen.
    Auch wenn
Guillam die Katastrophe nicht so unerbittlich hätte nahen sehen, wäre allein
die Enttäuschung für ihn fast unerträglich gewesen. Er hatte um dieses
Augenblicks willen viel erduldet. Ungnade und Exil in Brighton unter Haydon,
den Laufburschen spielen für Old George, anstatt wieder als Außenagent zu
arbeiten, sich mit Georges krankhafter Heimlichtuerei abfinden, die Guillam bei
sich demütigend und selbstzerstörerisch nannte - aber wenigstens diese Reise
hatte ein Ziel gehabt, bis ausgerechnet der verdammte Westerby ihm sogar das
gestohlen hatte. Aber daß er nun nach London zurückkehren sollte und Smiley und
den Circus, zumindest für die nächsten zweiundzwanzig Stunden, einem Rudel
Wölfen überlassen, ohne auch nur die Möglichkeit, ihn zu warnen - das war für
Guillam die grausame Krönung eines verfehlten Lebens. Und sollte es ihm helfen,
wenn er Jerry dafür verfluchte, dann würde er ihn verfluchen, Jerry oder irgend
jemand sonst. »Schicken Sie Fawn!«
    »Fawn ist
kein Gentleman«, würde Smiley erwidert haben oder etwas anderes gleichen Sinns.
    Auch das kann man wohl behaupten, dachte Guillam und erinnerte sich
an die gebrochenen Arme.
    Auch Jerry
war überzeugt, irgendwen den Wölfen vorzuwerfen; in diesem Fall allerdings eher
Lizzie Worthington als George Smiley. Als er durch das Rückfenster des Wagens
blickte, schien es ihm, als sei auch diese ganze Welt, durch die er fuhr, dem
Untergang geweiht. Die Straßenmärkte waren menschenleer, die Gehsteige, sogar
die Türnischen. Über ihnen ragte wie sprungbereit der Peak, den
Krokodilsrücken vom zerzausten Mondlicht gesprenkelt. Es ist der Jüngste Tag
der Kolonie, dachte er. Peking hat den sprichwörtlichen Telefonanruf getätigt.
»Raus jetzt, aus der Traum.« Das letzte Hotel schloß seine Pforten, er sah die
leeren Rolls-Royces wie Schrott rings um den Hafen liegen und die letzte
europäische Matrone mit blaugespültem Haar, schwankend unter der Last ihrer
zollfreien Pelze und Juwelen die Laufplanken des letzten Linienschiffes
passieren, den letzten China-Experten in rasender Hast seine letzten
Fehlkalkulationen dem Reißwolf einfüttern, sah die geplünderten Läden, die
leere Stadt, die wie ein Leichnam auf die fleddernden Horden wartete.

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