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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
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ablegt. Sind zusammen mit Reifröcken aus
der Mode gekommen. Wiedersehen, George! Läuten Sie mich morgen an, wenn Sie
sich's anders überlegen sollten und Hilfe möchten. Fahren Sie vorsichtig,
Guillam. Sie haben Alkohol getrunken, denken Sie daran!«
    Als sie
durchs Tor fuhren, tat Guillam einen wirklich sehr starken Ausspruch, aber
Smiley steckte zu tief in der Decke, um ihn zu hören.
    »Es geht
also nach Hongkong?« sagte Guillam. Keine Antwort: aber auch kein Dementi.
    »Und wer
ist der glückliche Außenmann?« fragte Guillam ein wenig später, ohne
eigentliche Hoffnung auf eine Antwort. »Oder hat das Ganze nur den Zweck, die
Vettern auszutricksen?«
    »Wir
tricksen die Vettern keineswegs aus«, brauste Smiley auf, gereizt wie selten.
»Wenn wir sie mittun lassen, buttern sie uns unter. Wenn nicht, dann haben wir
keine Mittel. Will einfach genau austariert werden.« Smiley tauchte wieder
unter die Decke.
    Doch schon
am folgenden Tag, siehe da, war es soweit. Um zehn berief Smiley ein Einsatzdirektorium ein. Smiley redete, Connie redete, di Salis zappelte herum und kratzte sich wie ein verlauster
Dorfschullehrer in einer Bauernkomödie, bis die Reihe zum Sprechen an ihm war
und er sich mit seiner rauhen, klugen Stimme äußerte. Noch am gleichen Abend
schickte Smiley sein
Telegramm nach Italien: ein richtiges Telegramm, nicht nur einen Funkspruch,
Codewort guardian, Kopie in
die rasch anwachsende Akte. Smiley schrieb es
aus, Guillam übergab es Fawn, und der
raste triumphierend damit zum Nachtpostamt Charing
Cross. Er zog so feierlich damit ab, daß man hätte meinen können,
das bräunliche kleine Formular bilde den bisherigen Höhepunkt seines behüteten
Daseins. Dem war nicht so. Vor dem Sündenfall hatte Fawn unter Guillam bei den in Brixton stationierten
Skalpjägern gearbeitet. Sein erlernter Beruf indessen war der eines lautlosen
Killers.
     
    Spaziergang
im Park
     
    Diese
ganze sonnige Woche hindurch trugen Jerry Westerbys Reisevorbereitungen das
Gepräge festlicher Betriebsamkeit, die nicht einen Augenblick nachließ. Wie
London einen späten Sommer feierte, so auch, mochte man denken, Jerry Westerby.
Stiefmütter, Impfungen, Reisetips, literarische Agenturen und
Fleet-Street-Redakteure; Jerry, der London sonst haßte wie die Pest, stiefelte
frisch und fröhlich vom einen zum andern. Er hatte für London sogar ein eigenes
Kostüm zu seinen Wildlederstiefeln: einen Anzug, nicht direkt aus der Savile
Row, aber unleugbar einen Anzug. Seine Gefängnismontur, wie die Waise gesagt
hatte, war ein waschbares, verschossen-blaues Etwas, die Kreation eines
Rund-um-die-Uhr-Schneiders namens Pontschak Happy House in Bangkok, der es in
glänzenden Seidenlettern auf dem Etikett als knitterfrei garantierte. In den milden Mittagsbrisen blähte es sich am Brighton
Pier so schwerelos wie eine Soutane. Sein aus gleicher Quelle stammendes
Seidenhemd war vergilbt, als hätte es lange in einer Mannschaftsgarderobe von
Wimbledon oder Henley gehangen. Seine Sonnenbräune war, obgleich toskanischen
Ursprungs, genauso englisch wie die berühmte Kricket-Krawatte, die gleich
einer Landesfahne an ihm flatterte. Nur sein Gesichtsausdruck hatte für die
sehr Scharfäugigen eine gewisse Wachsamkeit, die auch Mamma Stefano, die
Postmeisterin, festgestellt hatte und die man instinktiv als »berufsbedingt«
empfindet und damit abtut. Manchmal, wenn er sich auf Wartezeiten gefaßt
machte, schleppte er den Büchersack mit sich, so daß er wie ein Hinterwäldler
aussah.
    Er
logierte, wenn überhaupt irgendwo fest, am Thurloe Square bei seiner
Stiefmutter, der dritten Lady Westerby, in einer winzigen Wohnung voller
Schnickschnack und riesiger Antiquitäten, geborgenem Gut aus aufgegebenen
Häusern. Sie war eine bemalte, hennenartige Frau, zänkisch, wie das gealterte
Schönheiten zuweilen sind, und beschimpfte ihn häufig wegen wirklicher oder
eingebildeter Delikte wie zum Beispiel wegen Rauchens ihrer letzten Zigarette
oder Einschleppens von Schmutz nach seinen bemessenen Streifzügen im Park.
Jerry nahm alles geduldig hin. Manchmal, wenn er erst um drei oder vier Uhr
morgens heimkam, aber noch immer nicht schläfrig war, hämmerte er an ihre Tür,
um sie zu wecken, obwohl sie meist ohnehin schon wach war; und wenn sie ihr
Make-up aufgelegt hatte, setzte er sie in ihrem rüschenraschelnden Morgenrock
auf sein Bett, drückte ihr eine Riesenportion creme de
menthe frappee in die winzigen Klauen, streckte sich in ganzer
Länge auf der freien

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