Carte Blanche - Ein Bond-Roman
in zwei russische Dienste aufgeteilt: FSB für das Inland und SVR für das Ausland. In Fachkreisen herrschte allgemein die Ansicht, dass diese Änderung allenfalls kosmetischer Natur war.
Bond überlegte. »Eine gezielte Tötung.«
»Korrekt. Und einer unserer Leute – ein Agent von Six – war irgendwie darin verwickelt, aber ich kann noch nicht sagen, wer oder wie. Vielleicht hat unser Mann den russischen Killer verfolgt. Vielleicht wollte er ihn umdrehen und als Doppelagenten führen. Oder unser Agent war sogar die Zielperson. Bald weiß ich mehr – ich habe ein paar Nachforschungen in die Wege geleitet.«
Bond ertappte sich dabei, dass er stirnrunzelnd die Tischdecke anstarrte. Er lächelte Philly flüchtig zu. »Sehr gut. Danke.«
Dann verfasste er auf seinem Mobiltelefon eine kurze Zusammenfassung dessen, was Philly ihm über Hydt, den Vorfall Zwanzig und Green Way International berichtet hatte, und schickte die Nachricht an M und Bill Tanner. Von Operation Steel Cartridge erwähnte er nichts. »Okay«, sagte er. »Nun haben wir uns nach all der harten Arbeit ein paar Gaumenfreuden verdient. Zuerst der Wein. Rot oder weiß?«
»Ich bin ein Mädchen, das sich nicht gern an die Spielregeln hält.« Philly ließ die Worte kurz nachklingen – kokett, glaubte Bond. »Ich trinke zum Beispiel einen großen Roten – einen Margaux oder Saint-Julien – zu einem milden Fisch wie Seezunge«, erklärte sie. »Und zu einem schönen saftigen Steak bestelle ich mir Pinot Gris oder Albariño.« Sie lächelte. »Ich will sagen, wonach immer Ihnen heute der Sinn steht, James, das geht für mich in Ordnung.« Sie strich Butter auf ein Stück von ihrem Brötchen und aß es mit sichtlichem Genuss. Dann nahm sie die Speisekarte und studierte sie wie ein kleines Kind, das sich nicht entscheiden kann, welches Weihnachtsgeschenk es zuerst auspacken soll. Bond war hingerissen.
Gleich darauf kam Aaron, der Kellner, an ihren Tisch. »Sie zuerst«, sagte Philly zu Bond. »Ich brauche noch einen Moment.«
»Ich nehme die Pastete. Danach den gegrillten Steinbutt.«
Philly bestellte als Vorspeise einen Rucolasalat mit Parmesan und Birne und als Hauptgang pochierten Hummer mit grünen Bohnen und Frühkartoffeln.
Bond wählte eine Flasche unoaked Chardonnay aus dem kalifornischen Napa.
»Gut«, sagte sie. »Die Amerikaner haben die besten Chardonnay-Trauben außerhalb Burgunds. Jetzt müssen sie nur noch alle den Mut aufbringen, ein paar ihrer verfluchten Eichenfässer wegzuwerfen.«
Was genau Bonds Meinung entsprach.
Erst kam der Wein, dann das Essen, das sich als hervorragend erwies. Bond beglückwünschte Philly zur Auswahl des Restaurants.
Sie plauderten miteinander. Philly erkundigte sich nach seinem Leben in London, seinen letzten Urlaubsreisen, seiner Jugend. Er antwortete ihr ganz automatisch mit den allgemeinen Informationen, die ohnehin über ihn bekannt waren – der Tod seiner Eltern, die Kindheit bei seiner Tante Charmian im idyllischen Pett Bottom, Kent, sein kurzer Aufenthalt in Eton und danach der Wechsel ans Fettes College in Edinburgh, die alte Schule seines Vaters.
»Ja, ich habe gehört, dass es in Eton einige Scherereien gegeben hat – wegen eines Dienstmädchens, nicht wahr?« Sie ließ auch diese Worte kurz nachklingen. Dann lächelte sie. »Die offizielle Version ist ein Hauch skandalös. Doch es gab noch andere Gerüchte. Dass Sie die Ehre des Mädchens verteidigt haben sollen.«
»Ich schätze, zu diesem Punkt müssen meine Lippen versiegelt bleiben.« Er lächelte ebenfalls. »Ich berufe mich auf den Official Secrets Act. Inoffiziell.«
»Nun, falls es stimmt, waren Sie ziemlich jung für ein so ritterliches Verhalten.«
»Ich glaube, ich hatte gerade Tolkiens Sir Gawain gelesen«, sagte Bond. Und vermerkte nebenbei, dass sie zu seiner Person offenbar gründliche Nachforschungen angestellt hatte.
Er fragte nach ihrer Kindheit. Philly erzählte, sie sei in Devon aufgewachsen und auf ein Internat in Cambridgeshire gegangen, wo sie als Teenager ehrenamtlich für diverse Menschenrechtsorganisationen tätig gewesen war. Später studierte sie Jura an der London School of Economics. Sie reiste sehr gern und schilderte ihm ausführlich einige Urlaube. Am begeistertsten sprach sie über ihr BSA -Motorrad und ihre andere Leidenschaft, das Skifahren.
Interessant, dachte Bond. Noch etwas, das wir gemeinsam haben.
Ihre Blicke trafen sich und wichen mindestens fünf Sekunden nicht voneinander ab.
Bond
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