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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Windmühlen ihre Flügel. Hinter ihm stieg eine Gabelweihe auf und stieß ihren hohen Schrei aus. Die Wahrheit war: Es tat ihm immer noch weh, an Sibylle zu denken. Der er keine Heimat gewesen war. Obwohl er es ebenso gewollt hatte wie sie: das Heim, den Herd, das Kind. Glaubte er jedenfalls.
    Der Job in der Frankfurter Werbeagentur war nie sein Traumjob gewesen – er war der ewige Behelfsberuf, der ihn am »Eigentlichen« hinderte. An was, bitte? Bremer schnaubte verächtlich. Die Werbeagenturen wimmelten nur so von verhinderten Künstlern und Literaten, die alle für Höheres geboren waren und »es« nur des Geldes wegen taten. Um sich für das »Eigentliche« aufzusparen. So ein Arschloch warst du auch, dachte Bremer, der mittlerweile überaus realistische Vorstellungen von den eigenen Talenten hatte.
    Als Sibylle endlich schwanger war und von ihm mehr als nur das Bekenntnis zum Kind erwartete, als sie Stundenpläne wünschte, klare Einigung über Aufgabenaufteilung, Teilzeitarbeit auch für ihn vorschlagen wollte, entdeckte Paul plötzlich eine mächtige Liebe zu seinem Beruf, die er ihr bis dato, worauf sie resigniert hinwies, völlig verschwiegen hatte.
    Paul würde sich das nie verzeihen. Im fünften Monat hatte Sibylle eine Fehlgeburt. Er war gerade wieder unterwegs gewesen, hatte einen großen Auftrag für die Agentur zu bearbeiten, wichtig, auch für die Zukunft, auch für das Kind, wie er seit einiger Zeit gerne behauptete. Im entscheidenden Moment war er nicht da. Sibylle war allein ins Krankenhaus gefahren – allein mit Ungewißheit, Angst, Schmerzen – und schließlich: Gewißheit.
    Bremer stieg wieder aufs Rad und fuhr die Strecke hinunter nach Rottbergen – halb blind vor Tränen. »Der Fahrtwind«, redete er sich halbherzig ein. Klar: Es war ja immer nur der Wind.
    Sibylle wußte früher als er, daß ihre gemeinsamen Pläne gescheitert waren. Er hatte die Trennung akzeptiert, sie war unausweichlich. Aber was tat ihm eigentlich immer noch so weh? Zwei Tage vor der Scheidung hatte er sein Büro bei Everyman und Partner ordentlich aufgeräumt, Christa einen Zettel hinterlegt, wo und wie er sämtliche laufenden Vorgänge archiviert und abgespeichert hatte, die Kündigung eingereicht, die nötigen Aktienanteile flüssig gemacht und seine Hütte gekauft. Für Peanuts, um ehrlich zu sein. Und betrieb seither Einsiedelei – wenn auch unter den Augen der Öffentlichkeit. Als Buße? Vielleicht. Dann war das Fahrradfahren wie das tägliche Rosenkranzbeten.
    Paul mußte lachen. Die Vorstellung reizte ihn – von der täglichen heiligen Handlung unter Einsatz von Muskelkraft und Shimano-Schaltung. Gelobt seien die Jahreszeiten und der Fortschritt der Welt. Gepriesen die Lauchstangen und Kohlköpfe in den Gemüsegärten der Bäuerinnen. Die Holzstapel, die man im Sommer anlegte. Der ungemein tüchtige Vertreter, der in den 60er Jahren tonnenweise Eternitplatten an die Landbevölkerung verkauft haben mußte, die nun vor jeder Fachwerkfassade klebten.
    Der heilige Zauber funktionierte. Paul spürte, wie sich seine Stimmung hob: getröstet vom Rot des Weinlaubs am Schulgebäude von Waldburg, vom Gelb der Rudbekien in einem Bauerngarten gleich hinter Streitbach, von den kupferfarbenen Chrysanthemen und roten Astern. Und von dem ersterbenden Grau, das von dem kleinen rachitischen Holzzaun abblätterte, der sich um ein heruntergekommenes Armeleutehaus in Rottbergen lehnte.
    In Groß-Roda begegnete ihm der braune Jeep wieder, den er vorgestern früh vor dem Weiherhof gesehen hatte. »Der Flug des Falken« hatte offenkundig eine Karambolage erlitten: Die Beifahrerseite war völlig eingedrückt. Das Fahrzeug stand am Straßenrand wie abgestellt und abgeschrieben. Irgendwie fühlte er Genugtuung. Geschah dem Deppen recht.
8
    Am späten Nachmittag traf Inspektor Kosinski in Klein-Roda ein. Er hatte die Dienststellen seines Landkreises angewiesen, ihn von allem zu unterrichten, was abwich von den ganz normalen Verbrechen, Verkehrsunfällen und anderen Routineangelegenheiten, die durchschnittlich so anfielen. Selbst Bagatellfälle seien zu melden, hatte er allen eingeschärft. Im ganzen Landkreis war man beunruhigt. Kosinski wollte möglichst bald Ermittlungsergebnisse vorlegen können. Deshalb war er sogar der Anzeige von Paul Bremer persönlich nachgegangen.
    Kosinski liebte es, sich immer erst einen Überblick zu verschaffen. Also parkte er den Dienstwagen nicht da, wo ihn jeder gleich sah, sondern einige Meter vor dem

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