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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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freien und unabhängigen Wahlen in der DDR, bei denen Annes Partei das von der Bürgerbewegung gegründete »Neue Forum« mit Geld und Engagement unterstützte: die Volkskammerwahlen am 18. März 1990.
    Leo trank, wenn sie unterwegs war – wie Anne an der Zahl der in der Küche herumstehenden leeren Whiskyflaschen feststellen konnte, die Leo früher, eifrig und ordentlich, zum Flaschencontainer gebracht hätte. Er war nicht ansprechbar, wenn sie versuchte, seine Laune und ihre Beziehung zu thematisieren. Für ihren »Politkram«, wie er es jetzt abschätzig nannte, interessierte er sich nicht. Und im Bett lief gar nichts mehr zwischen ihnen. Leo hatte sich auf die Gästecouch in der Bibliothek zurückgezogen.
    Nur der Einladung Frank Mathes’, das Auszählen der abgegebenen Stimmen bei den Volkskammerwahlen in seiner Wohnung im Prenzlauer Berg abzuwarten und hinterher auf welches Ergebnis auch immer ein paar Flaschen zu leeren, folgte seltsamerweise auch Leo. Ihm muß damals schon alles egal gewesen sein, dachte Anne. Dabei war noch nicht einmal ihr entgangen, wie mißtrauisch einige der alten Bürgerrechtler ihm hinterhersahen. Aber niemand hatte etwas gesagt.
    Als die ersten Hochrechnungen das wahrscheinliche Ergebnis erkennen ließen, war Leo auf der Seite der Mehrheit der Anwesenden, die einander mit Fassungslosigkeit oder gar Tränen in den Augen versicherten, »dafür« gewißlich nicht auf die Straße gegangen zu sein. Der Rotkäppchen-Sekt schmeckte bitter.
    »Dafür bin ich nicht auf die Straße gegangen«, wurde zum halb erbost, halb scherzhaft vorgetragenen Kommentar Leos zu allen Ereignissen des Jahres 1990, bevor sich beide Teile Deutschlands im Herbst vereinten. Anne mochte ihn nicht darauf hinweisen, daß er sich in einer komfortablen Kieler Wohnung aufgehalten hatte, während andere mit Kerzen in den Händen und Angst im Herzen durch die Straßen Leipzigs, Dresdens oder Schwerins gezogen waren.
     
    »Dafür bin ich nicht auf die Straße gegangen«, flüsterte Anne und rieb sich mit kalten Händen die kalten Arme. Nicht für diese verdammte Depression im Lande. Es stimmte ja – die deutsche Einheit brachte nicht für alle Vorteile. Die Ostdeutschen verloren alte Gewißheiten: den sicheren Arbeitsplatz, das gesicherte Auskommen und einen Staat, der sie einengte, aber dennoch voll väterlicher Fürsorge gewesen war. Die Westdeutschen mußten ein bißchen von ihrem Wohlstand aufgeben und entdeckten, daß sie auf einer Insel der Glückseligen gelebt hatten: Plötzlich zog es ganz empfindlich aus jener Himmelsrichtung, vor der einst der Eiserne Vorhang für Windstille gesorgt hatte. Aber die DDR-Nostalgie vieler Ost- wie Westdeutscher verstand sie einfach nicht. Und Leos mißmutiges Beleidigtsein hatte schließlich den ersten richtigen großen Streit zwischen ihnen provoziert.
    »Ich hätte uns eine Chance gewünscht«, hatte er eines Tages während des Abendessens gesagt. Anne sah ihn vor sich, wie er lustlos an seiner Lachsschnitte herumsäbelte.
    Ihr habt sie doch, die Chance, hatte sie noch gedacht. Sie hatte seine Bemerkung nicht sonderlich ernst genommen. Und im übrigen: Wen meinte er eigentlich mit »ihr«?
    »Statt dessen machen sie alles platt.« Wen meinte er mit »sie«? Anne erinnerte sich noch, wie verwundert sie gewesen war über die Bitterkeit in seiner Stimme. Nein, es ging nicht alles glatt mit der deutschen Einheit, das stimmte schon. Aber wo war die Alternative?
    »An einen dritten Weg glaube ich nicht, Leo«, hatte sie damals gesagt. Unter diesem Namen hatte viele Intellektuelle nach der Wende nach einer Gegenwelt zu Kapitalismus und Sozialismus zugleich gesucht.
    »Das ist Anschluß, was hier passiert.« Haß war in seiner Stimme gewesen. »Kolonialisierung. Der Triumph von Konsumismus und Egoismus über den letzten Versuch, Menschlichkeit zu leben.«
    Menschlichkeit zu leben? In der DDR? Plötzlich war ihr, vielleicht zum ersten Mal in ihrer Ehe, der Kragen geplatzt.
    »Du hast sie doch nicht mehr alle«, hatte sie ihn angezischt. »Willst du mir etwa die gute alte DDR als neue Utopie verkaufen?«
    Er hatte sie mürrisch angesehen – er ist älter geworden, war ihr damals aufgefallen. Viel älter. Illusionsloser. Als ob ihm die Zukunft abhanden gekommen wäre.
    »Findest du deine Ellenbogengesellschaft vielleicht besser?« hatte er zurückgezischt.
    »Meine? Deine nicht?«
    »Hier ist auch nicht alles Gold, was glänzt!« hatte er zurückgegeben.
    »Und in der DDR war auch nicht

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