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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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zwischen zwei junge Italiener geraten, die lautstark und heftig gestikulierend in ihre Handys schrien. Ob die miteinander telefonieren? dachte Karen kurz. Vielleicht sollte man das krisengeschüttelten Ehepaaren empfehlen: Wer nicht mehr miteinander redet, kann sich ja immer noch anrufen.
    In dieser und den beiden Nebenstraßen war Frankfurts Little Italy. Hier standen verwegene, zerknitterte Eddie-Constantine-Replikanten im Trenchcoat und mit der dazugehörigen Kippe im Mundwinkel an den Straßenecken und alerte Jungmänner in mafiosen Zweireihern. Und drinnen waltete Mamma, in allen Variationen: Im »Cinque«, einer winzigen Hinterzimmerkneipe, stellte sie mittags die gleichen riesigen Portionen vor ihre Landsmänner wie vor deutsche Büromenschen. Bei »Vicence« dirigierte sie die Küche mit lauter, rauchiger Stimme. Im vollgestopften Ecklädchen, in dem Karen ihren Espresso kaufte, war Mamma schon etwas älter und glich ihr schlechtes Deutsch mit überströmender Herzlichkeit aus. Im Laden in der Parallelstraße war sie jung, vielsprachig und schön. Aber man wußte genau, wie sie in fünf Jahren aussehen würde: wie Mamma eben.
    Während der Fußballeuropameisterschaft im letzten Sommer hatten die Fans Straßen und Nebenstraßen von Little Italy in den italienischen Nationalfarben beflaggt. Bei »Vicence« hatte man, um den entscheidenden Wettkampf stilvoll und luftgekühlt beobachten zu können, den Fernseher ins Fenster gestellt und die Stühle auf die Straße. Wer mit dem Auto passieren wollte, wie die wenig fußballinteressierte Karen auf dem Weg zum Trainingsstudio, wurde formvollendet um Geduld gebeten, während die Stühle aus der Fahrgasse geräumt wurden, und dann mit ausladenden Handbewegungen und strahlendem Lächeln durchgewunken. Danach nahm man wieder Platz, mitten auf der Straße, und kommentierte lautstark den Spielverlauf. Ohne die Italiener, hatte Karen damals gedacht, würden die Frankfurter Kneipenwirte noch heute bis Pfingsten warten, bevor sie die Tische und Stühle nach draußen stellen.
    Von Idylle konnte allerdings in dieser Ecke hinter dem Frankfurter Hauptbahnhof nicht die Rede sein. Dafür sorgten schon die ausgemergelten Gestalten, die sich, an eine Hauswand gelehnt oder auf dem Bordstein sitzend, die Spritze setzten. Karen machte es Mühe, bei diesem Anblick wegzugucken. »Du bist nicht im Dienst«, hatte sie sich heute morgen zugeredet. Die Staatsanwältin Stark mußte Drogenmißbrauch verfolgen. Die Privatperson Karen Stark plädierte für die Freigabe von Drogen. Nicht aus Mitleid mit den Süchtigen. Sondern weil leicht auszurechnen war, daß das Elend sich fortsetzen mußte, solange mit den Gewinnen aus dem Drogenhandel ganze Bürgerkriege finanziert werden konnten.
    Die ansässigen Geschäfte und Kleinunternehmen – griechische Pelzhändler, deutsche Uniformschneider und italienische Lebensmittelimporteure – bezahlten wegen der Drogenszene uniformierte Wachmänner. »Ich versteh euch ja«, hatte sie Vetter, dem Leiter des Trainingsstudios, ihre professionellen Einwände gegen die Hilfssheriffs einmal zu erklären versucht. »Aber ich will das Gewaltmonopol des Staates nicht durch Selbstjustiz gefährdet sehen. Und wir brauchen eine Polizei, die allen verpflichtet ist.« Vetter hatte etwas von »Verantwortung der Bürger fürs Gemeinwesen« geantwortet. Karen sollte das recht sein – solange es nicht als Vorwand zum präventiven Lynchen diente. Oder friedliche Nachbarn in Blockwarte und Spitzel verwandelte. Das hatten wir alles schon mal, dachte sie. Und daß viele, die heute bei privaten Wachdiensten im Westen arbeiteten, früher im Auftrag des Staatssicherheitsdienstes der DDR ihre Mitbürger bespitzelten, schmälerte ihr Mißtrauen auch nicht gerade. Karen Stark hatte – nicht nur berufsbedingt, glaubte sie – erheblich mehr Vertrauen in einen bundesrepublikanischen Polizisten als in rechtsradikale Hilfssheriffs oder oberflächlich gewendete ehemalige Mitarbeiter einer Diktatur.
    Und das ist doch wohl verständlich, oder? dachte sie beim Anblick zweier dieser Burschen, die zur Tür hereingekommen waren. Die Kerle trugen paramilitärische Uniformen mit verwegen drapierten Baretts auf dem Kopf und ließen unter der kurzen Lederjacke Handschellen sehen, die am Hosengürtel hingen. Sie kamen regelmäßig vorbei und grüßten dann zu Vetter oder Henry oder Alf hinüber, den Trainern, die ebenso rituell »Alles klar!« zurückriefen. »Aber wenn es dem Sicherheitsempfinden

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