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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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dient …« Insbesondere die Frauen ängstigte die Umgebung, in der das Studio lag. Vor drei Tagen erst hatte Karen eine Frau im Umkleideraum über die Wahrscheinlichkeit, zum Gewaltopfer zu werden, zu beruhigen versucht. »Für Frauen in unserem Alter interessieren die sich nicht mehr«, hatte sie gesagt. Das war zwar statistisch richtig, aber nicht sonderlich höflich ausgedrückt.
    Die beiden Wachmänner hatten im Grunde nichts zu tun – außer irgendwie abschreckend zu wirken. Fast taten sie ihr leid, wenn sie sich im Hof hinter dem Studio auf das Sims vor einem der großen Fenster setzten, eine heimliche Zigarette rauchten und einander von Lebensträumen erzählten, denen Karen keine große Chance gab. Zum Film wollte der eine. Von einer Hundeschule träumte der andere. Auf die Übernahme in den regulären Polizeidienst spekulierte ein dritter. War das Kippfenster geöffnet, hörte Karen jedes Wort, das die Uniformierten wechselten.
    Karen war jetzt fast allein auf der unteren Etage des Trainingsstudios. Die ältere Dame war gegangen, die beiden schwatzenden Frauen (undisziplinierte Gänse, hatte Karen unwillig gedacht) hatten ebenfalls ihren Rundgang durch den Maschinenpark absolviert. Karen Stark hielt nichts von halbherzigen Bemühungen um körperliche Fitneß. Paul Bremer hatte das mal spöttisch ihren unerbittlichen Willen zur Leistung genannt. »Ich unterwerfe mich lediglich dem Gesetz des Hantelns«, hatte sie grinsend geantwortet.
    Der Mann hinter ihr setzte das Gewicht hart und geräuschvoll ab. Jetzt war es Karen, die tadelnd guckte. Stöhnen war im Kraftraum nicht erlaubt – und das Gewicht, das man gehoben hatte, sollte man gefälligst auch wieder geräuschlos ablegen können. Mit scharfem Blick kontrollierte sie, wieviel der Angeber aufgelegt hatte. Nicht schlecht, dachte sie überrascht, und blickte auf. Der Mann grinste sie belustigt an, hob die Schultern, und breitete die Arme mit geöffneten Handflächen aus. Karen lächelte zurück. Einem Mann mit guter Muskulatur verzieh sie so manches.
    Der Mann legte auch beim Bankdrücken ein imponierend hohes Gewicht auf. Karen mußte sich bremsen, um ihm nicht allzu neugierig zuzusehen. Er sah nicht wie ein Kraftprotz aus, er war schlank, fast zierlich. Sie registrierte kurze, dunkelblonde Haare, hellbraune Augen, sanft gebräunte Haut, Haut, unter der sich jeder Muskelstrang abbildete. Keine dieser üppigen, fülligen Muskelwälle, wie sie bei Schwarzenegger-Anhängern beliebt waren. Ihr gefiel der Typ.
    Irgendwo, dachte sie plötzlich, habe ich den Kerl schon mal gesehen. Der Kerl schob nun schon zum fünften Mal mit entrücktem Blick und in stoischer Ruhe das gewaltige Gewicht bis in Augenhöhe vor. Die Ärmel seines weiten T-Shirts waren zurückgefallen. Auf dem rechten Unterarm trug er ein dunkelblaues, etwa fünfmarkstückgroßes, kreisförmiges Mal. Ein Muttermal? Ein blauer Fleck? Eine Tätowierung? Auch das hatte sie schon mal gesehen. Sie wußte nur nicht mehr, wo.
2
    Bremer lag wach. Seit vier Uhr morgens schon, seit die Töle von Bauer Knöß begonnen hatte, den Mond oder irgend etwas anderes anzuheulen, assistiert von einem offenbar ebenso schlaflosen Hund im Nachbardorf. Geisterstunde, dachte er resigniert und guckte zu, wie sich in den milchigweißen Morgenstunden die alten Gespenster an sein Bett setzten und vorwurfsvoll mit dem Kopf wackelten. Gegen sechs Uhr gesellten sich ein paar neue hinzu. Alle verkörperten auf ihre Weise nur eines: Verlust.
    »Es soll alles so bleiben, wie es ist«, murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen und schob die zerwühlte Bettdecke weg. »Und wenn das noch so konservativ ist.« Er wollte seine heile Welt zurück, dachte er mit einem Anflug von kindischem Trotz, in der Gottfried untadelig war, Marianne sich nicht in ihn verknallt hatte, niemand ihm fingierte Brandsätze in den Schuppen warf. Und in der die erste Frau, die ihn seit langer Zeit wieder interessierte, keinen Mann hatte, der noch als Leiche störte.
    Der Gedanke an Anne bereitete ihm Unbehagen. Er spürte Verunsicherung, wenn er an sie dachte. Desillusionierung. Fremdheit. Und, aus irgendwelchen Gründen, ein schlechtes Gewissen. Bremer ging in die Küche, um sich seinen Tee zu kochen. Der Anblick der leeren Teedose löste einen inneren Tobsuchtsanfall aus, der selbst ihn verblüffte. Du mußt hier raus, dachte er, und zwar ganz schnell, während er den Katzen den letzten Rest aus der Dose von gestern in den Freßnapf schaufelte. Er packte

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