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Cash

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Titel: Cash Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Price
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erhöhten Bühne sowie einer großen, leeren, tragbaren Leinwand, die an der Seite aufgebaut war. Vier Saaldiener legten Gedenkprogramme und durch Pappbecher gedrückte Kerzen auf jeden Stuhl. Genau unter ihm sprach Steven Boulware, Nehrujacke über schwarzem T-Shirt, in sein Handy, während er mit drei anderen durch den Mittelgang zur hinteren Treppe marschierte, wo die Presse wartete. Spuren der Abreibung, die Eric ihm verpasst hatte, ein bernsteingelber Halbmond, der sich um sein rechtes Auge schmiegte, waren noch vom Balkon aus zu sehen.
    Als Boulware und die anderen - eine junge Frau mit hellgrünen Augen und schmalem, erwartungsvollem Mund, und zwei wachsame Männer - ins Blickfeld schwebten, wurden sie flugs von einem Hufeisen aus Kameras und drängenden Reportern eingefasst; Boulware wartete, betrübt und fiebrig rege zugleich, auf Ruhe.
    »Können Sie uns beschreiben, was in jener Nacht passiert ist?«
    »Nicht ... Es geschah alles so schnell. Doch eins werde ich Ihnen erzählen. Ike ...« Er hielt inne und hob eine Hand, um sich zu sammeln. »Nein. Ich will anders anfangen. Der Räuber? In der flüchtigen, impressionistischen Sekunde, bevor er abdrückte, sah ich die Angst in seinen Augen. Und ich sah die Menschlichkeit. So reduziert sie gewesen sein mochte, ich glaube nicht, dass er beabsichtigte, jemanden zu erschießen. Er hatte mit unserer Angst gerechnet. Er hatte nicht mit Ike gerechnet.«
    »Würden Sie Ike Marcus als unerschrockenen Menschen bezeichnen?«
    »Nein«, sagte Boulware. »Er war mutig. Er war mutig, weil er nicht unerschrocken war. Doch er war ein Löwe, wenn es darum ging, für etwas einzustehen, ungeachtet der Folgen.«
    »Hat er sich in jener Nacht verhalten wie ein Löwe?«
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Aber wofür genau stand er denn ein?«, fragte der große, junge Reporter mit der Kippa, der Eric bedrängt hatte.
    »Für seine Freunde«, sagte Boulware ohne Zögern. »Und eins muss ich noch sagen über den jungen Mann, der ihn erschossen hat. Er wird gefasst werden, kein Zweifel. Doch der Blick in seinen Augen sagte mir, dass er sich in jener Minute, in der er auf den Abzug drückte, selbst gerichtet hat, und kein Mensch hat einen strengeren Richter als sein eigenes Spiegelbild.«
    Erics Wut war so groß wie seine Verblüffung: Weshalb hatte niemand diesen aufgeblasenen Wichser gezwiebelt? Er war in der Nacht besoffen gewesen, er hatte das alles verursacht, Eric hatte einfach nur richtig gehandelt, klug gehandelt, und jetzt wollten ihn alle schälen wie eine Weintraube.
    »Und jetzt möchte ich Ihnen, wenn ich darf« - Boulware wandte sich halb zu seinem Gefolge um - »einige der heutigen ... ich möchte sie nicht Trauerredner nennen ... einige unserer ... Festredner vorstellen.«
    Eric staunte über Boulwares hungrigen Blick, über seine Lebendigkeit. Und dachte, Ich habe nicht fest genug zugeschlagen.
    Yolonda und Matty, die gekommen waren, um die Menge in Augenschein zu nehmen, saßen am Gang, als Billy, Minette und Nina wie rotgesichtige Regenten eintraten und ihre Plätze direkt vor ihnen einnahmen. Minette, angetan mit anonym geschmackvollem schwarzem Kleid und eingeschlossenem Lächeln, blickte in die Halle, als sorgte sie sich um alles auf der Welt. Nina, in einem ähnlichen Kleid, trug eine Mischung aus Trauer und Trotz im Gesicht, als hätten sich alle hier versammelt, um sie anzubellen. Zwischen ihnen saß Billy, an die Hand seiner Frau geklammert - wie ein regloser Nebel, der ohne Bewegung aufzutauchen und zu verschwinden schien: ein Radiosender auf der Schnellstraße.
    Yolonda stupste Matty an, damit er sich zu erkennen gab, doch als er sich gerade nach Billys Schulter streckte, erwachte die Leinwand auf der Bühne zum Leben und fächerte eine Diashow über Ike auf, die dem Vater wie mit einem Taser die Wirbelsäule geradeschockte: sein Sohn als Kind, auf einem Fest zum fünften oder sechsten Geburtstag, knapp zehnjährig an Halloween als Clockwork-Orange-Rowdy, als Spielmacher beim Basketball offensichtlich in der Junior Highschool und unter dem Korb in der Highschool. Und dann setzte die Musik ein, Joe Cocker sang »You Are So Beautiful to Me«, Billy sprang auf, setzte sich ebenso plötzlich wieder hin und wankte erst zu Nina, dann zu Minette, worauf beide instinktiv eine Hand ergriffen, um ihn am Abheben zu hindern wie einen unbefestigten Ballon.
    Als die staubigen Kronleuchter allmählich verdämmerten, wurden die Bilder schärfer: Ike auf einer Strandfete, wo

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