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Cash

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Titel: Cash Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Price
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das hat er nie erwähnt, und er hat es auch nie jemandem erzählt. Vor ihm habe ich mich nie mehr geschämt als vor mir selber. Er war mein geheimer Mitwisser. Mein geheimer Bruder. Und er hat mich durchgeboxt.«
    Minette und Nina saßen gebannt da, doch Billy krümmte sich auf einmal, Ellbogen auf den Knien, starrte zu Boden und schüttelte den Kopf. Minette legte die Hand auf seinen Rücken, ohne den Redner aus den Augen zu lassen.
    »Und im letzten Jahr oder so, als wir hier wieder Verbindung aufnahmen und wieder Freunde wurden? Das war wie Wohnheim die Zweite. Wenn ich deprimiert war, in Panik geriet, ob ich mein Leben vergeude, indem ich mich für dieses Stipendium und das Förderprogramm bewerbe und in irgendeinem blöden Restaurant arbeite, um mich über Wasser zu halten, hat Ike mich immer aufgefangen. Sagte dann, wir würden es beide schaffen und wahrscheinlich beide in die Akademie aufgenommen werden, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, was für eine Akademie er meinte. Er sagte immer: >Wenn du mir schlappmachst und zu den Juristen gehst, bring ich dich um.<«
    »Scheiße, ja!«, rief jemand, und die Leute lachten und heizten sich gegenseitig an.
    »Er sagte immer, >Ärger dich bloß nicht über deine Brotjobs, die bringen uns die Lebenserfahrung. Außerdem, scheiß drauf, Mann, wir haben alle Zeit der Welt< ... Alle Zeit der Welt.« Der Junge hustete wieder in die Faust, um seine Rührung zu verbergen. »Ike hat mir das Gefühl gegeben, als würde die Welt mir gehören oder vielleicht nicht wirklich mir, sondern ihm, aber ich hatte einen ziemlich geilen Backstage-Ausweis dafür. Ike hat mich stark gemacht. Er hat mir geholfen, an mich zu glauben, er hat mir Hoffnung gegeben ... Wer soll das verdammt nochmal jetzt für mich tun? >Ruf eine Weile nicht zu Hause an.<« Jetzt versagte Russell endgültig die Stimme. »Ich will nicht mehr zu Hause anrufen, Ike ... Ich will dich anrufen.«
    Im großen Geschniefe und Geraschel, das dem Redner auf seinen Platz folgte, stand Billy plötzlich auf und flüsterte Minette heiser zu, »Tut mir leid, ich kann das nicht.« Er war schon halb im Gang, bevor sie überhaupt den Mund aufmachen konnte, drehte sich aber noch mal um, kam zurück und beugte sich diesmal zu seiner Tochter hinunter. »Spatz, tut mir leid, wir sehen uns zu Hause.«
    Und suchte dann das Weite.

    »Mom?« Ninas Stimme schwebte vor ihr davon. »Hört er meine Rede dann gar nicht?«
    Minette, auf einmal ganz aufgelöst, reagierte, in dem sie die Stirn an Ninas legte.
    »Mom«, sagte Nina streng und wich vor diesem Eskimokuss zurück.
    »Sei ...« Minette lächelte sie an. »Lass ihn einfach ein bisschen in Ruhe.«
    »Ich? Was hab ich denn gemacht?«
    Yolonda beugte sich vor und berührte Minettes Schulter. »Alles klar mit ihm?«
    Minette drehte sich zu ihnen um und wischte sich derweil die Augen. »Er braucht nur ein bisschen Freiraum.«
    »Bestimmt könnte ihn eine Streife nach Hause fahren.«
    »Er ...« Schmales Lächeln. »Danke, vielen Dank.«
    Yolonda strich Nina übers Haar, gurrte leise »Wird schon«, und beugte sich dann wieder zu Matty. »Ich hoffe, er schmeißt sich nicht vor den Bus.«
     
    Eric lehnte sich zwischen den Teleobjektiven über die Balkonbrüstung, mied Ikes Familie und die beiden Detectives hinter ihr, blickte stattdessen auf die Hunderte von Trauergästen und überlegte - wie sollte es auch anders sein -, wenn er sich die Kugel eingefangen hätte, wie viele Leute dann wohl aufgekreuzt wären? Wer wäre überhaupt darauf gekommen, so was auf die Beine zu stellen? Und was sollten sie bloß sagen? Anscheinend war Ike tot besser vernetzt als er lebendig.
     
    Der zweite Redner kam aus dem Pressepulk auf dem Balkon. Mit seinem dünnen schwarzen Anzug, dem schmalen schwarzen Schlips und der Elvis-Costello-Brille sah er aus wie ein Ska-Musiker aus den Siebzigern. »Hi, ich bin Jeremy Spencer? Und ich bin Alkoholiker.«
    »Hi, Jeremy!«, rief die Hälfte des Publikums im Einklang. »Wir sind auch Alkoholiker!« Wie der weltgrößte Insiderwitz.
    »Was soll bitte daran lustig sein?«, fragte Yolonda aus dem Mundwinkel. »Der Junge ist im Suff gestorben.«
    »Am Morgen, nachdem ich Ike kennengelernt hatte«, fing Jeremy ohne Notizen an, »kriegte ich gerade meine Hälfte vom Kater in den Griff, saß da im Kid Dropper mit einer Suppenschüssel Kaffee und hatte meine erste gute Idee seit einer Woche. In der Sekunde, wo ich die Hände auf die Tasten gelegt hatte, kam er von hinten und

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