Cash
flüsterte mir ins Ohr: >Wer Gedichte schreibt, lutscht auch Schwänze<.«
Die Menge johlte, und Jeremy wartete, bis Ruhe einkehrte, bevor er den Kopf wieder zum Mikro senkte. »Das geht weder gegen die einen noch gegen die anderen.« Erneutes Johlen, der Redner ließ sich zu einem milden Lächeln hinreißen. »Wie Russell gesagt hat, Ike war immer überzeugt, dass wir es schaffen. Mit ihm befreundet zu sein bedeutete, Mitglied eines Eliteclubs zu sein, der Hall of Fame der Zukunft. Wenn man mit ihm befreundet war, war man automatisch der beste unbekannte Schriftsteller, Schauspieler, Sänger, Buchhalter, Steptänzer, Türsteher, Sozialarbeiter, Heißölringer seiner Generation, und es war nur eine Frage der Zeit, bis alle das kapierten. Und ja, Ike sagte immer, wir haben jede Menge Zeit.
Und mir ging's genau wie Russell, wenn ich deprimiert war und das Vertrauen in mich verlor, ging ich in die Bar, in der Ike gerade arbeitete, er sah mich an, schob mir ein Kühles aufs Haus rüber und sagte: >Denk nicht einmal daran, jetzt aufzugeben, du wirst es dein Leben lang bereuen< ... Er gab mir das Gefühl, dass wir alle mit kübelweise Talent gesegnet sind. Dann sagte er: >Aber Jeremy? Talent ohne Biss ist eine Tragödie<. Er sagte immer: >Sieh mich an. Glaubst du, ich würde mir tagtäglich für diesen Scheiß den Arsch aufreißen, wenn es nicht mehr wäre als ein Mittel zum Zweck?< Worauf ich leider antworten musste: >Aber Ike, du arbeitest hier doch erst seit Montag.<«
Erneut großes Gelächter in den Wogen, selbst Matty fiel zu seinem Erstaunen mit ein. Er sollte zumindest mal in Lake George anrufen, um zu hören, was mit den Jungs vor Gericht passierte, wurde dann aber zum Glück von einer jungen Frau in der Mitte ihrer Sitzreihe abgelenkt, die seitlich an seinen Knien vorbeiwischte und in ihrem Eifer, auf die Bühne zu kommen, »Verzeihung, Verzeihung« zirpte.
»Hi. Ich heiße Fraunces Tavern?«
Die Menge lachte und pfiff zur Begrüßung der aufgebrezelten Frau mit dem rabenschwarzen Haar, die in hohen, fellgesäumten Uggs und einem tief ausgeschnittenen, feuerroten Kleid auf der Bühne stand. »Hi.« Sie winkte ihren Leuten. »Mein Bild von Ike ist ein bisschen anders als das von den anderen bisher? Erstens mal bin ich anders. Ich will nichts darstellen? Also, außer vielleicht an Halloween? Ich kenne Ike, weil wir, wie sagt man, zusammen waren, immer wieder, ein Jahr lang, anderthalb, also kein Liebespaar? Aber Ike?... Darf ich das überhaupt sagen?«, wandte sie sich rhetorisch an Boulware, den Moderator in der ersten Reihe. »Ike war also« - Blick in die Ferne - »also, Ike war toll im Bett.«
Der Jubel war explosiv, die Leute sprangen auf und johlten. Minette wandte blitzschnell ihr Profil Matty zu, um ihr Lächeln vor Nina zu verbergen, die stocksteif dasaß. Matty lächelte verschwörerisch, aber das nahm Minette wohl nicht wahr.
»Ike war wie so ein Wächter vor dem Buckingham Palace? Also, total aufrecht - nicht, so meine ich das nicht, so doof bin ich nicht, jetzt kommt aber mal.« Sie strahlte, ließ sich vom Gelächter tragen. »Ich meinte, dass er immer bereit war, also, wie so eine Klatschlampe, die ... Ich meine, bei 'nem Typen klingt das ja nicht so weltbewegend, aber er war immer so da, so bei mir, nicht Augen zu und ran. Ich meine, er hat es genossen, mit mir. Und für mich war es nicht, also so« - sie ließ ein herzhaftes Jodeln hören, dass das Publikum unter den Stühlen lag -»es war ein Erlebnis mit jemandem, der es richtig, richtig schön findet mit einem, so dass man sich selbst mag. Ike wusste, beziehungsweise spürte intuitiv, ist wohl besser, dass das Geheimnis eines guten Liebhabers darin liegt, dass man a) nicht allein zugange ist und b) wenn man das mal geklärt hat? Dass man den anderen manchmal am besten befriedigt, wenn man sich selbst befriedigt.« Sie hielt wieder inne, wartete auf die ersten verwirrten Lacher, die Folgelacher, wohl wissend, dass dies erst mal verdaut werden musste. »Das kam falsch raus. Ach, kommt schon, ihr wisst, was ich meine.«
Die Einzige, die nicht mitlachte, was Ikes Schwester; Hand auf dem Versehrten Arm, funkelte sie die Freunde ihres Bruders mit nacktem Ekel an.
»In meinem Leben?«, sagte Fraunces Tavern. »Ich weiß, na ja, ich hoffe jedenfalls, dass ich mit anderen Männern, also, zusammen sein werde, die ich vielleicht mehr liebe? Aber ich würde mich sehr, sehr glücklich schätzen, jemals wieder einen Typen einfach so, so genießen
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