Cash
meine Frau verdient auch mehr als ich.«
»Macht sie's auch halb und halb?«
»So erzählt man sich.« Erneutes Feixen.
»Wissen Sie was?« Matty legte eine Hand auf Minettes Arm. »Wir gehen nach oben.«
Er führte sie durch den leeren Dienstraum ins Büro des Lieutenant, ließ die Innenjalousien herunter und bot ihr einen Platz auf einer Kunstledercouch an, die zur Hälfte mit Protokollen besetzt war.
»Möchten Sie etwas trinken?« Er zog einen Stuhl heran. Sie schüttelte den Kopf, beugte sich vor und vergrub das Gesicht in den Händen. Matty ließ sie einen Augenblick gewähren. »Was ist?«, fragte er dann.
»Ich hab mir das nicht ausgesucht«, flüsterte sie mit bedeckten Augen.
Matty nickte, dachte: Wer hat das schon.
»Ich habe den Jungen geliebt, ich schwöre, wirklich, aber Himmelherrgott nochmal...«
»Wissen Sie was?« Die Hand leicht auf ihrem Arm. »Sie tun schon das Richtige.«
»Woher wissen Sie das?« Sie verbarg sich jetzt hinter der geballten Faust.
Er wusste gar nichts, aber was sollte er sagen. »Es ist doch erst eine Woche her.«
»Genau.« Noch ein verzagter Seufzer.
»Ich sag Ihnen was.« Matty beugte sich vor. »Sie kümmern sich um Ihre Familie, und ich kümmere mich um den Rest.« Er klang grundsolide, als hätten seine Worte irgendeinen Sinn, aber es war mehr als nur Schönfärberei, er wollte, dass sie stärker war, so erschien sie ihm in seinen Tagträumen, und jetzt bestand er darauf. »Kümmern Sie sich um sie, Sie schaffen das«, sagte er tief unten, wenige Zentimeter von ihrem gesenkten Kopf entfernt. Er mühte sich mit Haut und Haar, zugleich besonnen und übernatürlich klarsichtig zu klingen. »Das weiß ich.«
Endlich hob sie den Blick zu seiner allwissenden Stimme, sah ihn mit verzweifelter und hilfloser Wachsamkeit an.
»Das weiß ich.«
Sah ihn an wie einen Fels im brandenden Meer. »Überlassen Sie mir ...«
»Okay«, sagte sie wie sediert, dann streckte sie die Arme nach oben, nahm sein Gesicht in die Hände und steckte ihm die Zunge in den Mund, dass Matty kaum Zeit hatte, seine Finger zaghaft auf ihre Schultern zu legen, bevor sie, bestürzt und erledigt, zurückwich. Einen Moment lang saßen sie bloß da mit gedankenweiten Augen und blickten durch den Raum, als hätten sie etwas Bestimmtes verloren, bis Minette aufstand und wortlos zur Tür ging.
Er wusste, dass es ein Egal-Kuss gewesen war, ein einmaliges Aufbäumen, er begriff und akzeptierte das, und so konnte er im Moment nur erleichtert sein, sie ziehen zu lassen. Als sie sich jedoch, eine Hand bereits an der Tür, zu ihm umdrehte, Luft holte, als sei sie verwirrt, als sei das nicht wie erwartet, einen halben Schritt zu ihm ging, um noch mehr zu bekommen, und sich dann zusammenriss: Nein. Das war der Schuss ins Herz. Matty sackte in sich zusammen. Minette drehte sich wieder um und schloss leise die Tür hinter sich.
»Herrgott.« Matty wischte sich über den Mund, was er gleich darauf bereute.
Rastlos, erregt, bemüht, nicht mehr darüber nachzudenken, was nicht passiert war, saß Matty eine Stunde später immer noch im leeren Büro und ging die Anzeigen durch, sichtete das Chaos des Tages und sortierte es in Rücklauf an die Streife und ermittlungswürdig, Straftaten natürlich, aber auch häusliche Gewalt, alles potentielle Entzündungsherde; Tote und Vermisste aus denselben Gründen.
Es war ein lauer Tag gewesen: einige Anzeigen wegen Belästigung, zwei unbewaffnete Überfälle, ein paar kleinere Diebstähle und eine schwere Körperverletzung, die bereits in eine Festnahme gemündet war.
Dann wurde er auf eine Vermisstenanzeige aufmerksam, Olga Baker. Matty kannte das Mädchen, eine notorische Ausreißerin, die Mutter, Rosaria, rief regelmäßig einmal im Monat an, ihre Tochter kam ein, zwei Tage darauf nach Hause, nichts Besorgniserregendes, aber beim letzten Anruf, vielleicht vor sechs Wochen, war Matty schließlich hingegangen, in eine ordentliche Wohnung in den Cuthbert Towers, eine Stufe über den Sozialsiedlungen und etwas neben der üblichen Spur. Rosaria, Ende dreißig, vielleicht Anfang vierzig, klein und kompakt mit einem Turm schwarzer Haare, hatte ihn aus heiterem Himmel gefragt, ob er auch Kinder habe, was zu >Sind Sie noch mit der Mutter zusammen< führte, was zu >Gehen Sie gern tanzen< führte, was aus irgendeinem Grund, den er heute Abend nicht mehr nachvollziehen konnte, dazu führte, dass er sich ganz schnell vom Acker machte.
Er kannte Kollegen, die bei
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