Cash
herunterzukurbeln, und flüsterte ihm ins Ohr: »Leck mich am Arsch, du fetter, obdachloser Pizzalieferant.«
Die Clara-E.-Lemlich-Siedlung war ein schmuddeliges Areal von fünfzig Jahre alten Hochhäusern, die zwischen zwei Jahrhunderten festklemmten. Nach Westen wurden die vierzehnstöckigen Häuser von der One Police Plaza und dem Verizon-Hauptquartier überragt, massiven futuristischen Gebilden ohne besondere Merkmale abgesehen von ihrer blinden, emporkletternden Endlosigkeit, und nach Osten überragte wiederum die Siedlung die Backsteinhäuser in der Madison Street aus der Zeit des Bürgerkriegs.
Als Matty und Yolonda an diesem aschgrauen Sonntag auf dem Weg zum Haus Oliver 22 das Gelände betraten, schlenderten viele der jungen Männer, die vor ihren Häusern herumlungerten, mit ausdruckslosen Mienen davon und fanden sich hinter dem Rücken der beiden Polizisten unverbindlich wieder zusammen.
»Naturfernsehen«, murmelte Matty.
»Was hast du denn heute?«
»Der Scheißkerl lügt.«
»Wer?«
»Marcus. Der hat gar nicht zu Hause angerufen.«
»Dann hat er eben nicht, wer bist du, seine Mutter?«
Matty ging schweigend weiter, überlegte. »Letzte Woche habe ich ihm versprochen, dass wir das hinkriegen, und jetzt geht alles so schnell den Bach runter ...«
»Und das lässt du jetzt an ihm aus?«
»Wann hast du schon mal so ein Versprechen von mir gehört? Wer mit mehr als zwei Minuten Erfahrung in diesem Scheißberuf gibt ein solches Versprechen ab?«
»Und das lässt du jetzt an ihm aus?«
»Du hättest die da drin sehen sollen, Yoli. Wie Kakerlaken im Licht.«
Yolonda nahm den Faden auf und gab eine makellose Matty-Vorstellung zum Besten: »>Davon wusste ich gar nichts<, >Das haben Sie uns nicht gesagt<, >Wie konnten Sie bloß auf einen Schmauchspurentest verzichten?< Und ich musste es schlucken. Alles wieselt unter den Ofen, und ich muss es schlucken.«
Drei Jugendliche in Kapuzenpullis saßen auf der Holzlattenbank vor dem Eingang zu Oliver 22, ein Schwarzer, ein Weißer, ein Latino, wie das Vorauskommando der UN-Jugendbrigade; alle starrten auf den Boden mit Augen auf Halbmast.
»Hey, wie geht's?« Yolonda ging auf sie zu, Matty ließ ihr auf der Straße immer den Vortritt. »Habt ihr vor etwa einer Stunde ein Mädchen gesehen, hellhäutige Latina, fünfzehn, sechzehn in rosa Trainingsjacke, eher dünn?«
Sie grunzten mit gesenkten Köpfen, wahrscheinlich waren die in Ordnung, dachte sich Matty, so theatralisch, wie die mauerten.
»Nein?« Yolonda lächelte. »Wie ist es mit dir?« Sie sprach den schwarzen Jungen an, hundertdreißig Kilo und eine steinzeitlich gewölbte Stirn. »Kennst du nicht?«
»Nee«, sagte er, ohne aufzusehen. In seinem Schoß lagen sowohl Carlito's Way 3 also auch Danger Mouse als Gamebox.
»Klingt nach überhaupt niemandem hier im Haus. Keine hier in der Gegend?«
Alle drei schüttelten die Kapuzenköpfe wie trauernde Mönche. »Sie hat ja nichts ausgefressen oder so ...«
Ein Mädchen, das mehr oder weniger auf Yolondas Beschreibung passte, kam aus dem Haus. »Hey, hallo.« Yolonda versperrte ihr den Weg. »Sag mal, wer ist das Mädchen hier, das so ähnlich aussieht wie du, hier wohnt oder vielleicht Freunde besucht, trägt eine rosa Samt-Trainingsjacke. Sie hat nichts ausgefressen.«
»Wie ich?«, fragte das Mädchen langsam.
»Ja, vielleicht nicht so hübsch ...« Yolonda hakte sich bei ihr unter und ging mit ihr zum Auto.
»Vielleicht Irma?«, sagte das Mädchen gedehnt.
»Irma, und weiter?«
»Nachname weiß ich nicht.«
»Wohnt sie hier?«
»Keine Ahnung. Vielleicht.«
»Ungefähr wie alt?«
»Elfte Klasse? Aber ich weiß nicht genau.«
«Bei wem wohnt sie denn?«
«So gut kenne ich sie nicht.«
«Wie heißt du?«
»Crystal.« Yolonda wartete. »Santos.«
Sie waren jetzt in der Madison Street.
Yolonda blickte zum Wagen. Iacone beugte sich zu Billy hinüber, der schüttelte den Kopf.
»Ist deine Familie stolz auf dich, Crystal?«
»Weiß ich nicht.«
»Mach deine Familie stolz, okay?«
»Jetzt gleich?«
»Überhaupt. Jeden Tag.«
»Okay.«
Als Yolonda zum Haus zurückkehrte, saßen die drei Jungs noch immer mit finster zugekniffenen Augen da, als hätten sie Schmerzen, und blickten in drei verschiedene Richtungen, während Matty, die Hände im Rücken verschränkt, vor der Bank stand.
»Irma«, sagte Yolonda zu Matty und drehte sich dann zu den dreien um. »In welcher Wohnung wohnt Irma?« Die Jungs sahen sie an, als spräche sie
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