Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
überrascht habt«, sagte ich bitter. Daddy blinzelte.
»Ich habe dir Briefe geschrieben«, sagte er leise. »Du mußt etwas geahnt haben.«
Das stimmt, dachte ich, aber ich wollte es mir selbst nicht eingestehen. Ich hatte mich geweigert, es zu begreifen, und ich hatte auf ein anderes Leben gehofft, ein Leben, in dem es nur Daddy und mich gab. Aber dieser Traum war geplatzt.
»Ich weiß, daß es schwer für dich ist, meine Liebe«, sagte Mildred. Sie streckte den Arm über den Tisch und legte ihre Hand auf meine. »Du hast eine gewaltige Veränderung durchgemacht, aber ich versichere dir, daß ich tun werde, was ich kann, um dir das Leben leichter und schöner zu machen. Ich hoffe, mit der Zeit wirst du in mir eine zweite Mutter sehen, jemanden, zu dem du kommen kannst, wenn du Rat und Trost brauchst.«
Ich sah dieser Fremden in die Augen. Sie wirkte so streng und so finster. Sogar ihr Lächeln war eine rationelle kleine Bewegung ihrer Gesichtsmuskeln. Ihr sollte ich mich anvertrauen, der Frau, die mir meinen Vater weggenommen hatte? Aus welchen Kindern würde er sich jetzt mehr machen? Mit wem wollte er mehr Zeit verbringen?
»Auf ihren Rat kann man sich verlassen. Sie hat mir in diesen allerletzten Monaten ein paar ganz ausgezeichnete Ratschläge gegeben. Um dir die Wahrheit zu sagen, ich weiß nicht, was ich ohne sie getan hätte«, gestand Daddy.
Aber warum hast du nie gesagt, du wüßtest nicht, was du ohne mich tun solltest? dachte ich. Warum hast du dich so leicht von mir lösen können?
»Mildred hat alles klug und sorgsam durchdacht«, fuhr Daddy fort. »Du brauchst dir also um mich keine Sorgen mehr zu machen.«
Sorgen um dich? Warum machst du dir keine Sorgen um mich? schrie ich stumm.
»Nachdem wir ihre Kinder besucht haben, werden wir Flitterwochen in Alaska machen, und dabei können wir die Kreuzfahrt planen und unseren Spaß haben. Wenn das nicht rationell ist! Dann werden wir wieder einige Reisen unternehmen. Wir müssen geschäftlich nach Europa fahren und sind dann kurz vor dem Winter wieder in Boston. Aber wir bleiben nicht den ganzen Winter über hier. Einen Teil der Zeit wollen wir in der Karibik verbringen. Im Frühling machen wir dann Ferien in Maine bei Mildreds Familie, und im nächsten Sommer…«
»Aber was ist mit mir?« rief ich endlich.
»Wir werden dich natürlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit treffen«, versicherte Daddy. »Mildred wird natürlich auch das genau planen.«
Mildred wird es planen? Warum hatte mein Vater dieser Frau gestattet, sein Leben derart in die Hand zu nehmen?
»Ja, das stimmt, meine Liebe«, bestätigte sie. »Ich bin schon dabei, mir zu überlegen, auf welche unserer Reisen wir dich mitnehmen können und wann du bei uns bleiben kannst. Wir würden dich morgen nach Maine mitnehmen, aber…«
»Ich will nicht mit euch nach Maine kommen«, gab ich zurück.
»Also, Leigh…« Daddy zog die Augenbrauen hoch.
»Mir ist egal, was ihr denkt!«
»Das sollte dir aber nicht egal sein. Wenn du als eine junge Dame angesehen werden willst, mußt du einen gewissen Anstand wahren«, schalt Daddy mich. Mildred starrte mich aus kalten Augen an. Ich sah auf die Speisekarte hinunter. Meine Brust war wie zugeschnürt und wurde so schwer, als stauten sich dort alle Tränen, die ich zurückhielt.
»Nun«, sagte mein Vater, »und was möchtet ihr essen? Leigh?«
»Du solltest dir überlegen, ob du nicht doch das Roastbeef bestellst«, schlug Mildred erneut vor.
»Ich kann Roastbeef nicht ausstehen«, zischte ich. »Und ich finde es scheußlich hier, und ich hasse dich.«
Ich konnte nichts dagegen tun. Die Worte kamen mir ganz von selbst über die Lippen. Ich sprang auf und rannte aus dem Restaurant, durch das Hotelfoyer und aus der Tür. Miles schlief auf dem Fahrersitz der Limousine. Er wachte auf, als ich gegen die Scheibe hämmerte. Eilig setzte er sich auf und war schockiert über die Tränen, die über mein Gesicht strömten.
»Was ist los? Was ist passiert?«
»Bringen Sie mich nach Farthy«, schluchzte ich und stieg ein. »Ich will sofort zurückfahren.«
»Aber…«
»Bitte, bringen Sie mich nach Hause.«
Er ließ den Motor an. Ich sah durch das Seitenfenster, und mein Blick fiel auf Daddy, der auf der Treppe stand und sich nach mir umsah. Er entdeckte die Limousine erst, als Miles rückwärts aus der Parklücke fuhr. Dann rannte er die Stufen hinunter.
»Leigh!« rief er. Miles trat auf die Bremse.
»Fahren Sie, Miles«, befahl ich mit dem
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