Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Catch 22

Catch 22

Titel: Catch 22 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Heller
Vom Netzwerk:
und Schläfen traten ihm drahtige Sehnen und pochende Adern heraus. Der alte Mann betrachtete ihn mit sieghafter Heiterkeit. Er saß gleich einer satanischen, hedonistischen Gottheit in seinem schäbigen, blauen Lehnstuhl wie auf einem Thron, die dürren Beine in eine gestohlene amerikanische Militärdecke gehüllt, um einer Verkühlung vorzubeugen. Er lachte still vor sich hin, und in den eingesunkenen, schlauen Äuglein flackerte es verständnisvoll von zynischer, leichtfertiger Belustigung. Er hatte getrunken. Nately reagierte auf den ersten Blick mit feindlich gesträubten Haaren auf diesen bösen, verkommenen, unpatriotischen alten Mann, der alt genug war, um ihn an seinen Vater denken zu lassen, und der verächtliche Witzchen auf Kosten Amerikas machte.
    »Amerika«, so sagte er, »wird den Krieg verlieren, Italien aber wird ihn gewinnen.«
    »Amerika ist die stärkste und reichste Nation der Welt«, setzte Nately ihm mit hochmütiger Inbrunst und Würde auseinander.
    »Und der amerikanische Soldat steht hinter keinem zurück.«
    »Ganz recht«, stimmte der alte Mann liebenswürdig und mit einer Spur von lustigem Spott zu. »Italien seinerseits gehört zu den ärmsten Nationen der Welt, und der italienische Soldat steht vermutlich hinter allen anderen zurück. Und genau darum schneidet mein Land bei diesem Krieg so gut ab, das Ihre jedoch schlecht.«
    Nately lachte vor Überraschung laut heraus, errötete dann aber schuldbewußt seiner Unhöflichkeit wegen. »Verzeihen Sie bitte, daß ich Sie ausgelacht habe«, sagte er aufrichtig und fuhr dann in einem Ton respektvoller Herablassung fort: »Italien ist doch aber von den Deutschen besetzt gewesen und wird jetzt von uns besetzt. Das können Sie doch unmöglich gut abschneiden nennen.«
    »Selbstverständlich nenne ich das so«, rief der alte Mann heiter.
    »Die Deutschen werden hinausgeworfen, aber wir sind immer noch hier. In ein paar Jahren werdet Ihr weg sein, wir jedoch werden immer noch hier "sein. Begreifen Sie doch: Italien ist ein sehr schwaches und armes Land, und das eben ist unsere Stärke.
    Jetzt sterben keine italienischen Soldaten mehr, aber amerikanische und deutsche Soldaten sterben immer noch. Ich nenne das außerordentlich gut abschneiden. Ja, ich zweifele nicht daran, daß Italien diesen Krieg überleben und auch dann noch vorhanden sein wird, wenn Ihr eigenes Land längst vernichtet ist.«
    Nately traute seinen Ohren kaum. Solche grauenhafte Lästerungen hatte er noch nie vernommen, und ein angeborener Instinkt ließ ihn sich fragen, weshalb das FBI nicht erscheine, um den verräterischen alten Mann einzusperren? »Amerika wird nie vernichtet werden!« rief er leidenschaftlich.
    »Nie?« stichelte der alte Mann sanft.
    »Nun ja ...« Nately verstummte.
    Der alte Mann lachte versöhnlich und verkniff sich ein tieferes, explosiveres Entzücken. Seine Sticheleien blieben freundlich.
    »Rom wurde zerstört, Griechenland wurde zerstört, Persien wurde zerstört, Spanien wurde zerstört. Alle großen Reiche wurden zerstört, warum also nicht das Ihre? Wie lange, glauben Sie denn, wird Ihr Land noch bestehen? In alle Ewigkeit? Vergessen Sie nicht, daß es selbst der Erde bestimmt ist, in etwa fünfundzwanzig Millionen Jahren durch die Sonne vernichtet zu werden.«
    Nately rutschte unbehaglich hin und her. »Nun, in alle Ewigkeit ist wohl etwas lange.«
    »Eine Million Jahre?« stieß der höhnende alte Mann mit brennendem, sadistischem Eifer nach. »Eine halbe Million? Der Frosch ist fast fünfhundert Millionen Jahre alt. Wollen Sie wirklich behaupten, daß Amerika mit all seiner Macht und seinem Reichtum, mit seinen Soldaten, die hinter keinen Soldaten zurückstehen, und mit dem höchsten Lebensstandard der Welt solange dauern wird wie ... der Frosch?«
    Nately hätte ihm gerne die höhnende Visage eingeschlagen. Er sah sich flehend nach jemandem um, der ihm bei der Verteidigung der Zukunft seines Vaterlandes gegen die unerträglichen Verleumdungen dieses tückischen, sündhaften Angreifers beigestanden hätte. Er wurde aber enttäuscht. Yossarián und Dunbar waren ganz damit beschäftigt, in einer entfernten Ecke orgiastisch vier oder fünf quicklebendige Mädchen und sechs Flaschen Rotwein zu verarbeiten, und Hungry Joe war längst einen der geheimnisvollen Korridore hinunter gestapft und hatte wie ein rasender Tyrann so viele der breithüftigen jungen Prostituierten, wie er in seinen dürren, windmühlenhaften Armen halten und in ein Doppelbett

Weitere Kostenlose Bücher