CATCH - Stunden der Angst: Thriller (German Edition)
in der Scheiße, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, und alles nur wegen Stemper. Wegen Stemper – und der verdammten Kohle.
Das Festgehalt von den Blakes war Jerrys Rettungsleine, und er konnte unmöglich darauf verzichten. Er hatte null Rentenansprüche und wollte gar nicht erst darüber nachdenken, wie er seinen Ruhestand finanzieren sollte, der aller Voraussicht nach nur noch wenige Jahre entfernt war. Er hoffte beinahe, dass er vorher sterben würde, um nicht als einsames, gebrechliches Wrack zu enden, das in einer vermüllten Wohnung mit Eisblumen an den Fenstern vor sich hin gammelte und kalte Bohnen mit Tomatensauce aus der Dose löffelte …
Die Blakes hatten ihn zu einer Zeit ins Boot geholt, als seine lückenhafte, kunterbunte Berufslaufbahn allmählich in ihre finale Phase eintrat: Er konnte sich immer noch über Wasser halten, doch er musste dafür immer mehr strampeln und wurde immer schneller müde.
Er hatte einem Exminister beim Schreiben seiner Memoiren geholfen; hatte für diverse Politiker Buchrecherchen übernommen und war dadurch an PR-Jobs für die eine oder andere halbstaatliche Organisation gekommen. Er hatte sich für eine Fernsehdokumentation als investigativer Journalist versucht, und dann waren da noch seine Artikel. Er schrieb über Rock’n’Roll und Oldtimer – vielleicht, weil beide wie er selbst ihre besten Zeiten schon hinter sich hatten –, aber auch das wurde immer weniger, je mehr sich die Nachrichten ins Internet verlagerten und die Leute erwarteten, alles kostenlos lesen zu können.
Für einen Hungerlohn schrieb er immer noch Buchrezensionen: positive für seine Freunde oder für Medienmenschen, die ihm noch mal nützlich sein könnten; negative für alle anderen, um zu demonstrieren, dass er auch anders konnte.
Die Blakes hatten all das zu Nebeneinkünften degradiert. Dreißigtausend im Jahr, und dafür musste er nichts weiter tun, als zur Verfügung zu stehen, wenn sie ihn brauchten, was immer sie von ihm verlangen mochten. Innerhalb eines vernünftigen Rahmens.
Innerhalb eines vernünftigen Rahmens. Sie hatten alle diesen Ausdruck benutzt, waren sich vollkommen einig gewesen, aber niemand hatte jemals deutlich ausgesprochen, was unter diesem »Rahmen« zu verstehen war.
An so etwas denkt man ja nicht in seinem jugendlichen Leichtsinn.
Aber nachdem er sich selbst ausgeschimpft hatte, musste Jerry eingestehen, dass der zweite Job am heutigen Abend wohl innerhalb dieses Rahmens blieb. In Kälte und Dunkelheit durch den Matsch zu stapfen mochte kein reines Vergnügen sein, aber es war ja nicht so, als ob er mit bloßen Händen gegen Taliban kämpfen müsste. Und doch …
Da war diese quälende Unruhe, die bisweilen sogar in Angst umschlug; ein Gefühl, das sich nicht greifen, aber auch nicht abschütteln ließ. Der einzige Gedanke, der ihm immer wieder durch den Kopf ging, formuliert in seinem glatten journalistischen Stil, war, dass die Dreißigtausend eine Rettungsleine waren, die sich jederzeit in eine Schlinge verwandeln könnte.
Normalerweise war er nicht so schwarzseherisch, aber normalerweise hatte er es auch nicht mit Stemper zu tun. Dass die Blakes ihn hinzuziehen würden, schien auf fatale Weise unvermeidlich. Und Stemper hatte eindeutig eine Schraube locker. Jerry konnte das deutlich sehen, wenngleich es ihn erstaunte, wie viele Leute es nicht erkannten.
Jerry hatte ihn bei einer Einladung der Blakes kennengelernt. Stemper hatte einen charmanten, ja, geselligen Eindruck gemacht, und Jerry hatte ihn ganz genau beobachtet, bis ihm klar wurde, dass alles nur aufgesetzt war – eine schauspielerische Meisterleistung, die Stemper sogar mit humorvollen Einlagen zu würzen verstand. Jerry hatte schon einige Psychopathen erlebt – in Plattenfirmen, Modehäusern und natürlich im Parlament –, aber er war noch nie einem begegnet, der sogar einen Sinn für Humor vortäuschen konnte.
Alle sagten, dass Stemper in seinem Job hervorragend sei, aber niemand ging je genauer darauf ein, was er eigentlich machte oder wie er es machte. Stattdessen gab es Euphemismen wie »Auftrag ausgeführt«, »gute Arbeit«, »Spitzen-Performance«. Da handfeste Informationen Mangelware blieben, konnte Jerry die Lücken nur mithilfe seiner Fantasie ausfüllen.
Er hätte Stein und Bein geschworen, dass dieses nächtliche Abenteuer Stempers Idee war. Und weil die Blakes ihm so verfallen waren, konnten sie nicht erkennen, dass es reine Zeitverschwendung war. Jerry wusste, wenn
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