Cathérine und die Zeit der Liebe
Blick des Riesen blitzte kein Licht auf. Wieder hatte er den Kopf geschüttelt.
»Nein … ich erinnere mich an nichts.«
Da war sie zu Hamza zurückgegangen, der, die Arme unter seinem weißen Gewand verschränkt, schweigend die Szene aus einer Ecke des Gemachs beobachtete. Ihr schmerzvoller Blick hatte gefleht, als sie murmelte:
»Ist denn … gar nichts zu machen?«
Er hatte sie unauffällig näher gewinkt und nach draußen gezogen.
»Nein, ich kann nichts mehr tun. Nur die Natur hat die Kraft, ihm das Gedächtnis wiederzugeben.«
»Wie aber?«
»Durch einen seelischen Schock vielleicht. Ich gestehe, daß ich ihn durch dein Erscheinen bei ihm erhoffte, aber ich habe mich getäuscht.«
»Dennoch war er mir immer sehr zugetan … Ich kann sogar sagen, daß er mich liebte, ohne je zu wagen, es mir zu zeigen.«
»Nun, dann versuche, diese Liebe wiederzuerwecken. Es kann sein, daß sich das Wunder dann einstellt. Aber es kann ebensogut sein, daß es nie kommt. Du wirst sein Gedächtnis sein und ihm seine ganze Vergangenheit wieder beibringen müssen.« Diese Worte wiederholte sich Cathérine, als sie das schmale, nur von einer Kerze erhellte Gemach betrat. Gauthier saß auf der Fensterbrüstung und sah in die Nacht hinaus. Mit seinen langen, unterzogenen Beinen, in eine gestreifte arabische Gandoura, eine Art ärmelloses Wollhemd gekleidet, das durch eine Schärpe in der Taille zusammengehalten wurde, schien er größer als je. Als Cathérine eintrat, wandte er den Kopf, bot dem Licht sein von Leid gezeichnetes Gesicht, in dem die grauen Augen jedoch ihren klaren Blick wiedergewonnen hatten. Trotz ihrer Magerkeit war die Gestalt des Normannen immer noch eindrucksvoll. Früher hatte Cathérine ihm oft lachend gesagt, er sehe wie eine Belagerungsmaschine aus. Davon war noch etwas geblieben, aber die Krankheit hatte das derbe Gesicht mit den plumpen Zügen mit einer Art Vornehmheit gezeichnet, die ihm ein rührend jugendliches Aussehen verlieh. Auch die blaß und mager gewordenen Hände wirkten veredelt. Jetzt, da er nicht mehr ständig lag, schien das Zimmer viel zu klein für ihn.
Er wollte aufstehen, als die junge Frau näher trat, aber sie hinderte ihn daran, legte ihm schnell die Hand auf die knochige Schulter.
»Nein … rühr dich nicht! Du hast dich noch nicht hingelegt?«
»Ich habe keine Lust zu schlafen. Ich ersticke in diesem Zimmer. Es ist so klein.«
»Du wirst nicht mehr lange hierbleiben. Wenn du kräftig genug bist, um zu reiten, brechen wir auf …«
»Wir? Nehmt Ihr mich denn mit?«
»Du hast mich stets begleitet«, entgegnete Cathérine traurig. »Das schien dir ganz natürlich … Möchtest du denn nicht mehr mit mir kommen?«
Er antwortete nicht sogleich, und Catherines Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Wenn er sich nun weigern sollte? Wenn er sich ein anderes Los suchen wollte? Sie war nicht mehr für ihn als eine hübsche Frau, da seine Erinnerung gestorben war. Und noch nie, niemals hatte sie ihn so nötig gehabt, seine Kraft, diesen unerschütterlichen Hort, der er immer für sie gewesen war. Hatte sie ihn denn wiedergefunden, einem schrecklichen Tod entrissen, nur um ihn desto sicherer zu verlieren? Sie spürte, wie ihr die Tränen in den Augen brannten.
»Du antwortest nicht?« murmelte sie heiser.
»Ich weiß es eben nicht. Ihr seid so schön, daß ich Euch gern folgen würde … wie einem Stern. Aber wenn ich meine Vergangenheit wiederfinden will, ist es vielleicht besser, wenn ich allein reite. Etwas in meinem Innern sagt mir, ich müsse allein sein, wie ich es immer gewesen bin …«
»Aber nein, das stimmt ja gar nicht! Während dreier Jahre bist du mir fast nie von der Seite gewichen. Wir haben zusammen gelitten, zusammen gekämpft, unser Leben zusammen verteidigt, du hast mich viele Male gerettet! Was werde ich denn tun, wenn du mich verläßt?«
Sie ließ sich, niedergedrückt durch diesen neuen Schmerz, auf das Fußende des Bettes fallen. Das Gesicht in die zitternden Hände vergraben, murmelte sie:
»Ich flehe dich an, Gauthier, verlaß mich nicht! Ohne dich bin ich verloren … verloren!«
Bittere Tränen quollen zwischen ihren Fingern hervor. Sie fühlte sich furchtbar einsam, von allen verlassen. Da war der Mönch, das Schreckgespenst, das die Mauern dies Schlosses heimsuchte; da war das Heimweh nach ihrem Land und nach ihrem Kind; da war ganz besonders die rasende Eifersucht, die sie jedesmal peinigte, wenn sie an ihren Gatten dachte. Und daß
Weitere Kostenlose Bücher