Cato 04 - Die Brüder des Adlers
Tincommius schob sie mit seiner freien Hand zu Boden und stieß dem Krieger mit der anderen Hand die grässliche Trophäe entgegen. Der Mann konnte seine Überraschung, den Kopf nun doch zurückzubekommen, nicht verbergen, und hob die Trophäe sofort hoch in die Luft; bei dieser Geste brüllte die Menge triumphierend auf.
Die Frau streckte ein letztes Mal verzweifelt die Hand nach dem Haupt aus, doch Tincommius hielt sie am Boden fest und plötzlich drehte sie sich zu ihm um und spuckte ihm ins Gesicht. Der atrebatische Prinz zuckte überrascht zurück und mit einem letzten wütenden Knurren rollte die Frau sich auf dem Boden zusammen und weinte bitterlich. Cato zog Tincommius vom Schauplatz weg.
»Es musste sein. Wir hatten keine Wahl. Du hast doch die Reaktion der Menge gesehen.«
Tincommius wischte sich den Speichel von der Stirn, bevor er antwortete.
»Aber es war ihr Sohn. Sie hatte das Recht, ihm diese Ehre zu erweisen.«
»Selbst nachdem er sein Volk verraten hatte? Und damit auch sie?«
Tincommius schwieg einen Moment lang. Dann nickte er langsam. »Du hast wohl Recht. Es war vermutlich unvermeidlich. Ich hatte nur das Gefühl …«
»Ich weiß, was für ein Gefühl du hattest.«
»Wirklich?« Tincommius sah ihn einen Moment lang verblüfft an, fasste sich jedoch schnell wieder und nickte. »Vermutlich versteht sogar ein Römer, was Trauer bedeutet. «
»Da kannst du sicher sein.« Cato lächelte matt. »Und jetzt nimm die Standarte und geh wieder zu Macro.«
Zum Glück gab es keine weiteren Szenen dieser Art, als Cato und Bedriacus sich durchs Getümmel zum Stadttor Callevas drängten. Auf der einen Torseite stand Verica auf einem Wagen, von seinem Gefolge und der königlichen Leibwache umgeben. Cato erblickte die Keilerstandarte, die sich stockend auf Verica zuarbeitete, drehte sich zu Bedriacus um und zeigte auf den atrebatischen König.
»Komm mit!«
Der Jäger nickte, und bevor Cato ihn aufhalten konnte, pflügte er durch die Menge und schob die Leute grob beiseite, um seinem Zenturio einen Pfad zu bahnen. Einen Moment lang befürchtete Cato, die Stimmung könnte umschlagen, aber die Atrebates waren viel zu gut gelaunt, um irgendetwas übel zu nehmen. Zur Feier des Sieges hatte man in Calleva schon kräftig getrunken, und die heimkehrenden Soldaten gaben sich alle Mühe, das Versäumte nachzuholen und sprachen den Krügen mit einheimischem Bier, die herumgereicht wurden, tüchtig zu. Trotz der Bemühungen des Jägers dauerte es ziemlich lange, bis Cato endlich zu Macro und Tincommius durchkam. Cato war erleichtert, als er schließlich aus dem dichten Gedränge herausgelangte und zwischen den Schilden der Leibwächter zu König Verica durchschlüpfen konnte.
»Zenturio Cato!«, sagte Verica mit einem Lächeln und hob grüßend die Hand. »Meine herzlichsten Glückwünsche zu eurem Sieg.«
»Es ist dein Sieg, Majestät. Deiner und der deines Volkes. Deine Leute haben ihn verdient.«
»Ein hohes Lob aus dem Mund eines römischen Offiziers. «
»Gewiss, Majestät. Ich bin mir sicher, dass die Männer auch künftig meinen Stolz auf sie rechtfertigen werden.«
»Natürlich. Aber jetzt müssen wir sie erst einmal feiern lassen.« Verica wandte sich Macro zu. »Wenn ihr euch ausgeruht habt, würde ich gerne die ganze Geschichte hören. Bitte seid heute Abend meine Gäste im Königssaal.«
Macro neigte den Kopf. »Es ist uns eine Ehre, Majestät.«
»Sehr schön, also bis dahin.«
Man half Verica vom Wagen herunter. Er wandte sich dem Tor zu und seine Leibwache stellte sich rasch um ihn auf und bahnte ihm einen Weg durch die Menge.
»Los jetzt«, sagte Macro, nachdem er den Befehl an die Kohorten ausgegeben hatte, sich am nächsten Morgen im römischen Lager zu versammeln. »Wir müssen die Wagen ins Lager schaffen, bevor die Eingeborenen wieder so weit zur Vernunft kommen, dass sie die Lieferung plündern. «
Als Macro und Cato den Konvoi nach Calleva hineingeleitet hatten, wurde rasch deutlich, dass viele der Atrebates sich keineswegs in Feierlaune befanden. Vor einigen Hütten hockten kleine Gruppen von Männern und starrten schweigend die Wagen an, die über die ausgefahrenen Straßen zum römischen Lager rumpelten. Nur die Kinder schienen die Spannungen im gespaltenen Calleva nicht zu bemerken, und sie rannten glücklich neben den Wagen her und neckten lachend die Fahrer. In der Stadt hatte sich das Gerücht verbreitet, dass ein Teil der Vorräte an die Bewohner ausgegeben würde, und
Weitere Kostenlose Bücher