CC-5 streng geheim
Kurz darauf wurde direkt gegenüber eine kleine Nebentür geöffnet.
Ich sah zwei weißgekleidete Männer, die die Hände eines kleinen Mädchens umfaßt hielten.
Es war vielleicht elf Jahre alt. Seine Beine waren stark verkrüppelt, so daß es kaum laufen konnte. Dann glitt mein Blick zu dem Gesicht empor. Ich war fasziniert.
So ausdrucksvolle Augen hatte ich noch nie gesehen. In ihnen stand ein tiefes Wissen um Dinge, die wir als nüchterne Menschen wohl kaum verstehen konnten. Aber es waren auch lachende Augen, die offen die kindliche Seele widerspiegelten.
Die Kleine schaute mich an. Ihr roter Mund lächelte. Sekundenlang glaubte ich, sie hätte etwas gesagt, aber ich schien mich getäuscht zu haben.
Niemand sprach ein Wort. Die beiden Männer, bei denen es sich wahrscheinlich um Wissenschaftler handelte, sahen mich prüfend an. Plötzlich runzelte die Kleine die Stirn.
Ihr Blick wurde traurig und drängend. Sie sah mich an, als wollte sie mir unbedingt etwas mitteilen; aber ich hörte nichts.
Dann erstarb der Glanz in ihren Augen. Hilflos blickte sie zu einem der Wissenschaftler auf, der ihr liebevoll die Wange streichelte.
»Schon gut, Kiny, schon gut. Sagt er nichts? Wirklich gar nichts?«
»Nein Doktor. Ich kann gar nichts hören«, antwortete sie mit der Ruhe und Selbstverständlichkeit eines Erwachsenen.
»Und der andere Mann, Kiny?«
»Auch nicht. Sie sind beide so, als wären sie tot, ganz tot. Sie sind so leise, daß ich nicht einmal ein Flüstern höre. Sie haben auch nicht geantwortet, als ich ihnen ›Guten Tag‹ sagte und mich nach ihrem Befinden erkundigte. Sie sind tot, alle beide.«
Ich starrte sprachlos auf das Kind, das mich forschend betrachtete.
»Wie – wie meinst du das, Kleines?« fragte ich fast gegen meinen Willen. Ich fühlte, daß meine Lippen zitterten. »Warum sagst du, ich wäre tot? Magst du mich nicht?«
»Doch, Sir, ich mag Sie. Sie haben gute Augen, aber Sie sind trotzdem tot.«
Ich fühlte, daß ich bleich wurde.
Reling, der bisher schweigend auf seine Hände gesehen hatte, unterbrach die eingetretene Stille und erklärte:
»Captain, dieses Mädchen heißt Kiny Edwards und wurde am 20. Juni 1992 auf dem Mond geboren. Es ist also zehn Jahre alt. Heute wissen wir, daß Kinys Eltern Gen-Schädigungen infolge der kosmischen Strahlung erlitten. Besonders ihr Vater war sehr unvorsichtig. Er arbeitete als Uran-Prospektor und hatte seine Schutzkleidung vernachlässigt. Das Kind ist eine Mutation, und zwar eine geistige Mutation. Die Anomalie der Beine können wir korrigieren. Verformung durch den Selen-Virus. Kiny ist seit zwei Monaten bei uns. Höchste IV-Quote!«
Ich sah ihn fragend an.
Schön, die Kleine war geistig mutiert, aber was hatte das mit mir zu tun? Wo lagen die Zusammenhänge?
Kiny sah mich wieder seltsam an. Schließlich schüttelte sie traurig den Kopf.
»Sie tun mir leid, Sir. Sie sind wirklich tot. Sie sind wie meine Mutter, als ihr Raumanzug kaputt ging.«
Ich atmete heftig. Das Kind machte mich nervös.
»Interessant, Captain«, meinte Reling. »Wissen Sie, daß Sie und Ihr Kollege die ersten Menschen sind, deren Bewußtseinsinhalt die Kleine nicht erfassen und aufnehmen kann? Sie ist eine natürliche Telepathin, für die es nicht schwierig ist, in den Denkprozeß eines menschlichen Gehirns einzudringen. Wenn sie sagt, Sie wären tot, meint sie, daß Sie telepathisch nicht abhörbar sind. Wie gefällt Ihnen das?«
Hannibal sah mich still an. Ich ahnte, an welches Ereignis er in diesem Augenblick dachte! Er erinnerte sich an die schwere Gehirnoperation, die er vor einem Jahr mit Mühe und Not überstanden hatte. Ich war in der gleichen Lage gewesen. Nur wir waren durchgekommen, während etwa fünfzehn
Weitere Kostenlose Bücher