Chalions Fluch
außergewöhnlich lang gewesen. Cazaril war es zufrieden, die ermüdeten Tiere auf dem letzten Stück durch die Stadt und den Hügel hinauf im Schritt gehen zu lassen, mit hängenden Köpfen und losen Zügeln. Am liebsten hätte er an Ort und Stelle gehalten, hätte sich neben der Straße niedersinken lassen und tagelang ausgeruht. In wenigen Minuten aber stand er vor der Aufgabe, einer Mutter vom Tod ihres Sohnes zu berichten. Von allen Prüfungen, denen er auf dieser Reise entgegensah, war diese die schlimmste.
Allzu früh gelangten sie an die Tore zur Burg der Herzogin. Die Wachen erkannten Cazaril sofort und eilten los, um Dienstboten herbeizurufen. Demi, der Stallbursche, nahm das Pferd entgegen und war der Erste – aber nicht der Letzte –, der die Frage stellte: »Weshalb seid Ihr hier, Herr?«
»Ich überbringe Botschaften für die Herzogin und Lady Ista«, antwortete Cazaril knapp, über den Sattelknauf gebeugt. Foix erschien neben der Schulter von Cazarils Pferd und sah erwartungsvoll zu ihm auf. Cazaril schob mühsam ein Bein über die Kruppe seines Pferdes, schüttelte den anderen Steigbügel ab und landete schwer auf den Füßen. Seine Knie gaben nach, und er wäre zu Boden gegangen, hätte nicht eine starke Hand ihn am Ellbogen gepackt. Sie waren zügig vorangekommen. Benommen fragte Cazaril sich, wie teuer er dafür bezahlen würde. Einen Augenblick lang stand er nur da und zitterte, bis er das Gleichgewicht wiedererlangt hatte. »Ist Ser dy Ferrej anwesend?«
»Er begleitet die Herzogin zu einem Hochzeitsfest in der Stadt«, berichtete Demi. »Ich weiß nicht, wann sie zurückkommen.«
»Oh«, sagte Cazaril. Er war beinahe zu müde zum Nachdenken. In der letzten Nacht war er so erschöpft gewesen, dass er auf seinem Bett in der Kurierstation eingeschlafen war, nur wenige Minuten, nachdem seine Helfer ihn dorthin gebracht hatten. Selbst Dondos Auftritt hatte er verschlafen. Auf die Herzogin warten? Eigentlich hatte er vorgehabt, sie zuerst zu benachrichtigen und sie dann entscheiden zu lassen, wie man es ihrer Tochter beibringen sollte. Nein. Das geht so nicht. Bring es hinter dich.
»In diesem Fall werde ich zunächst Lady Ista aufsuchen.« Er hielt kurz inne. »Die Pferde müssen abgerieben werden, und sie brauchen Wasser und Futter. Das hier sind Ferda und Foix dy Gura, Männer von edler Abkunft aus Palliar. Bitte sorg dafür, dass sie alles bekommen, was sie brauchen. Wir haben noch nicht gegessen.« Und uns nicht gewaschen – aber das war offensichtlich. Sie alle hatten ihre schweißdurchtränkten Wollsachen mit dem Schlamm der winterlichen Straßen bespritzt, ihre Hände waren schmutzverkrustet und ihre Gesichter mit Dreck verschmiert. Blinzelnd und müde standen die drei im Burghof, der vom Fackelschein erhellt wurde. Cazaril zupfte an den Riemen seiner Satteltaschen, doch seine Finger waren steif. Seit der Morgendämmerung hatte er in der Kälte seine Zügel umklammert gehalten. Foix nahm ihm auch diese Arbeit ab und hob die Taschen vom Pferd. Cazaril nahm sie ihm entschlossen aus den Händen, legte sie über seinen Arm und drehte sich um. »Bringt mich nun zu Ista, bitte«, sagte er leise. »Ich habe Briefe von Prinzessin Iselle für sie.«
Ein Hausdiener führte ihn hinein und dann die Treppen hinauf ins neue Gebäude. Der Mann musste innehalten, während Cazaril langsam hinter ihm die Treppe erklomm. Seine Beine waren schwer wie Blei. Flüsternd unterhielt der Diener sich mit den Damen der Königin und vermittelte Cazaril Eintritt in ihre Gemächer. Im vom Kerzenlicht erhellten Innern war die Luft erfüllt vom duftigen Aroma getrockneter Blütenblätter, und der Kamin strahlte wohlige Wärme ab. In diesem feinen Wohngemach kam Cazaril sich unbeholfen und hässlich vor.
Ista saß auf einer gepolsterten Bank. Sie war in warme Umhänge gehüllt und hatte ihr graubraunes Haar zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr weit in den Rücken hing. Wie bei Sara floss der tintengleiche Schatten des Fluches auch um ihre Gestalt. Da also habe ich schon mal richtig geraten.
Ista wandte sich ihm zu und riss die Augen auf. Ihr Gesicht erstarrte. Sicher konnte sie allein schon aus Cazarils plötzlichem Erscheinen schließen, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste. Während des langen Rittes war er hundert Möglichkeiten durchgegangen, ihr die Neuigkeiten schonend zu überbringen. Nun aber, unter der Last des Blicks aus ihren dunklen, geweiteten Augen, rannen ihm alle diese Möglichkeiten
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