Champagner und Stilettos
beeindruckend, wie geschickt ein guter Reporter mit seiner Umgebung verschmelzen konnte. Als sie noch nicht selbst im Rampenlicht stand, hatte sie es immer lächerlich gefunden, dass ein Paar sich in Anwesenheit eines knüllergeilen Journalisten stritt oder einen Angestellten zur Schnecke machte oder auch nur ans Handy ging; jetzt hatte sie größtes Mitgefühl für die Betroffenen. Der Mann vom New York Magazine beschattete sie nun seit vier Tagen, doch da er sich blind, taub und stumm stellte, wirkte er ungefähr so bedrohlich wie die Tapete an der Wand. Was, wie Brooke wohl wusste, das Gefährlichste überhaupt war.
Es klingelte an der Tür, aber sich umzudrehen hieß, eine schmerzhafte Begegnung mit dem Lockenstab zu riskieren. »Könnte das der Lunchservice sein?«, fragte Brooke.
Die eine Visagistin schnaubte verächtlich. »Keine Chance. Sieht nicht so aus, als stünde Essen bei diesem Terrorplan ganz oben auf der Liste. Und jetzt Mund zu, bis ich Ihre Lachfalten überdeckt habe.«
Dergleichen Kommentare rieselten mittlerweile an Brooke ab. Zum Glück hatte das Mädchen noch nicht gefragt, ob sie schon mal an eine Hautaufhellung zur Entfernung ihrer Sommersprossen gedacht habe; diese Behandlung war offenbar zurzeit das Gesprächsthema Nummer eins. Brooke versuchte sich mit der Los Angeles Times abzulenken, aber bei dem ganzen Trubel um sie herum konnte sie sich nicht konzentrieren und ließ stattdessen den Blick durch die Zweihundert-Quadratmeter-Penthouse-Maisonettesuite schweifen: zwei Visagistinnen, zwei Friseure, eine Fingernageldesignerin, eine Stylistin, eine PR -Frau, ein Künstleragent, ein Geschäftsführer, der Reporter vom New York Magazine , ein Schneider von Valentino und ein Assistentenstab wie im Weißen Haus.
Es war albern, keine Frage, aber Brooke fand das Ganze trotz allem mordsaufregend. Sie war bei den Grammys – den Grammys! – und sollte gleich vor aller Welt mit ihrem Gatten über den roten Teppich schreiten. »Unwirklich« war überhaupt kein Ausdruck für dieses Gefühl; konnte sich so ein Ereignis wohl je »wirklich« anfühlen? Seit sie vor fast neun Jahren Julian zum ersten Mal in der kleinen, verräucherten Bar hatte spielen hören, pries sie ihn jedem, der es hören wollte, als künftigen Star an. Ohne sich je auszumalen, dass das Wort tatsächlich Wirklichkeit werden könnte – »Star«. Rockstar. Superstar. Ihr Mann, eben der, der nach wie vor Boxershorts im Dreierpack kaufte und die Grissini bei dem billigen Italiener mochte und in der Nase bohrte, wenn er sich unbeobachtet glaubte, war nun ein international gefeierter Rockstar mit Millionen kreischender, treu ergebener Fans. Das ging über ihren Verstand, jetzt und vermutlich auch immerdar.
Als es zum zweiten Mal an der Tür klingelte, flitzte eine der abartig jungen Assistentinnen endlich hin, um aufzumachen – und kreischte laut auf.
»Wer ist es denn?«, fragte Brooke mit fest geschlossenen Augen, da sie gerade einen Lidstrich verpasst bekam.
»Der Wachmann von Neil Lane«, hörte sie Natalya sagen. »Mit Ihrem Schmuck.«
»Mit meinem Schmuck?«, wiederholte Brooke. Um nicht am Ende auch loszukreischen, presste sie die Lippen zusammen und versuchte sich das Lächeln zu verkneifen.
Schließlich war es so weit, sie sollte das Kleid anziehen und fühlte sich einer Ohnmacht nahe, vor Aufregung – und vor Hunger, denn nach wie vor schien keiner von der Armada hilfreicher Geister in der Hotelsuite einen Gedanken ans Essen zu verschwenden. Zwei Assistentinnen hielten ihr die Wahnsinnsrobe von Valentino hin, eine weitere half ihr beim Hineinsteigen. Das Kleid ließ sich am Rücken problemlos schließen und schmiegte sich um ihre schmaler gewordenen Hüften und die geschickt hochgepresste Brustpartie, als wäre es für sie gemacht – was natürlich der Fall war. Der Meerjungfrauen-Schnitt lenkte den Blick auf ihre halbwegs schlanke Taille und kaschierte zugleich ihre »kurvige« Kehrseite, und der herzförmige Ausschnitt betonte ihr Dekolleté, ohne aufdringlich zu wirken. Einmal abgesehen von der Farbe (ein dunkel schimmernder Goldton, nicht metallisch, sondern wie eine zweite, perfekt gebräunte Haut) war es ein Musterbeispiel dafür, dass ein fantastischer Stoff und ein genialer Schnitt allen Rüschen, Perlen, Ärmeln, Schärpen, Pailletten, Reifröcken und Glitzersteinchen haushoch überlegen waren. Dies hier war nicht bloß ein schönes, sondern ein absolut spektakuläres Kleid! Der Schneider von Valentino
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