Change
musste es tun. Einen logischen Grund gab es weder in meinem Kopf noch in meinem Herzen, das unentwegt nach dem wunderschönen, schwarzhaarigen Jungen schrie, den ich über alles liebte und begehrte.
„Ich werde immer an dich denken, dich niemals vergessen. Doch ich werde weiterkämpfen – und dich in mir tragen, Mike. Ich liebe dich.“ Die letzten Worte flüsterte ich nur, brach fast zusammen, hatte alle Kraft in diesen wenigen Worten verausgabt. Doch gleichzeitig spürte ich, wie Mike lächelte und leise eine Antwort hauchte, bevor er mehr und mehr verblasste, schlussendlich nur noch ein Schemen von ihm blieb.
„Ich liebe dich, Aiden. Ich bin so stolz auf dich, vergiss das nie.“
Mein in Tränen ertrinkender Blick folgte ihm, doch ich konnte nichts über meine zitternden Lippen bringen. Ich war völlig fertig. Wollte nur schlafen, für immer, ungeachtet dessen, was ich gerade gesagt hatte.
Kryptische Worte rissen mich aus meiner Erstarrung, doch außer ihnen zu lauschen, konnte ich nichts tun. Nicht einmal nachfragen, was dies bedeutete.
„Gib die Hoffnung nicht auf. Ich will dich nicht so leiden sehen. Es gibt immer eine Chance, einen neuen Morgen. Auch in diesem Spiel der höheren Mächte, das auch mich verurteilt hat. Doch ich werde den Teufel tun, mich zurückzuziehen. Ich werde Regeln brechen – und darum verspreche ich dir jetzt, dass du wieder mit Mike vereint sein wirst, wenn du weiterkämpfst. Es wird zwar nicht derselbe sein, den du gerade verloren hast – dennoch wird es Mike sein. So real, wie er nur sein kann. Dies schwöre ich.“
32. Kapitel
Oktober 1994 – Michael
Schlussendlich war ich doch gefallen. In der Schwerelosigkeit gefangen, aus dem Himmel vertrieben, selbst von der Hölle abgelehnt, stürzte ich, der Flügel beraubt. Der Fall vernichtete meine übermenschlichen Fähigkeiten, nahm mir meine Erfahrungen, befreite mich von meiner Unmenschlichkeit. Meine Erinnerungen, angefangen mit denen des ältesten Tages, liefen im schwerelosen Fall nochmals vor meinem inneren Auge ab, zeigten sich mir ein letztes Mal in ihrer detaillierten, glasklaren Herrlichkeit, bevor sie im dunklen Nirwana des Vergessens verschwanden.
Altbekannte und vertraute Gestalten wurden mir fremd, setzten sich eine Maske der Unkenntlichkeit auf. Stimmen, einst so rein und klar, verzerrten sich, klangen plötzlich befremdlich in meinen Ohren. Mein altes Ich schwand, es verschwand der glänzende Engel, der Luzifer mit flammendem Schwert aus dem Himmel vertrieben hatte. Es schwand die makellose Gestalt, die erhaben über jegliches Urteil nur einem Willen gehorchte – dem ihres Herrn. Alles, was mich mit meinem früheren, elementaren Ich verbunden hatte, war mit einem sauberen Schnitt entzweit worden.
Dann überrollten mich jene Erinnerungsfragmente, die ich nicht einmal mehr bewusst wahrgenommen hatte. Ich konnte auf einmal meine eigene Schwäche wahrnehmen, sie sprang mich geradezu an und ließ sich nicht vertreiben, sie wich nicht, sondern lag wie ein dauerhafter Film in dem Kaleidoskop meiner jüngeren Fehler über dem Geschehen, das ich nochmals erleben musste.
Vielleicht war es meine Schwäche gewesen, die mich nicht miterleben ließ, wie der Herr mich richtete. Eine wohlüberlegte Nebenreaktion meines eigensinnigen Kopfes. Doch nun sah ich auch diese Geschehnisse, beobachtete mich selbst durch die Augen eines Fremden. Teilnahmslos verfolgte ich, wie meine eignes gewählte Verkörperung von den beiden Erzengeln Gabriel und Rafael, die mit ihren ausdruckslosen Gesichtern keine Emotionen zeigten und meinen Blick mieden, gefangen wurde und mir ein Bann auferlegt wurde, welchen sie nicht gebraucht hätten – ich wehrte mich nicht und ließ mich dorthin führen, wo ich mich im Angesicht des Herrn wiederfand.
Ich sah mich selbst, wie ich mit dem Hang zur Demut und meiner neu dazugewonnenen Auflehnung kämpfte, am Ende jedoch die Demut siegte. Ich spürte die Enttäuschung über meine eigene Entscheidung, die gegen den Willen den Herrn ausgefallen war. Ich fühlte die Freude meines Bruders Luzifer über seinen Triumph über mich, empfand die Verbitterung der anderen Engel, wurde jedoch auch des Mitleids und der Trauer meiner Brüder Gabriel, Rafael und Uriel gewahr. Sie standen geschlossen hinter mir, deckten meinen Rücken. Ich sah, wie die anderen Engel wankten, sich selbst dabei ertappten, wie sie frevelhaft gehandelten hatten und sich dann einer nach dem anderen abwandten.
Auch meine
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