Chaos über Diamantia
flankte über einen morschen Bretterzaun, landete in einem Komposthaufen, rappelte sich auf und raste weiter. Erst als er zwei weitere Gärten durchmessen, einen Hinterhof überquert, eine Toreinfahrt passiert und Zugang zu einer schmalen, aber belebten Straße mit zahlreichen kleinen Geschäften gewonnen hatte, machte er keuchend im Schutz eines Hauseingangs halt.
Zwanzig Minuten harrte er lauschend und beobachtend in seinem Versteck aus.
Er verließ den Hauseingang und ging schnell und vorsichtig zum nächsten Telefon. Nach weiteren zwanzig Minuten, die er wartend in einem nahen Stehausschank mit Blick auf die Straße verbrachte, sah er seinen Wagen mit Leutnant Bray am Steuer und einen zweiten mit einer Militäreskorte auf der anderen Seite halten.
10.
»Wir werden morgen früh das Krankenhaus anrufen«, sagte Morton. Und dann fügte er hinzu: »Vielleicht.« Er war entschlossen, die verantwortlichen Ärzte dort mit Dr. Gerhardt zu konfrontieren. Er war der Scherereien überdrüssig und nicht länger gewillt, mit unvernünftigen Leuten vernünftig zu reden, nachdem er von Bray erfahren hatte, daß ein gewisser diamantischer Oberarzt namens Dr. Fondier sehr aufgeregt gewesen war und beim Militärkommando Anzeige erstattet hatte, als er entdeckt hatte, daß ein Patient der Psychiatrie ohne offizielle Entlassung aus dem Krankenhaus verschwunden war. Diese absurde Affäre war noch nicht ausgestanden.
Als er seine schlechte Laune betrachtete, kam ihm der Gedanke, daß er sich in einem Zustand von Gereiztheit befand, der nur ein Rückfall in die Denkart moderner Logik sein konnte. »Mein Professor«, sagte er zu Bray, »pflegte uns auf Reaktionen der begrenzten Logik zu drillen. Seine Meinung war, daß man Leute, die noch die Verhaltensweise der modernen Logik haben, immer an ihren emotionalen Reaktionen erkennen könne, wenn irgend etwas schiefgeht. Solche Individuen glauben nach Ansicht meines Professors in ihrem tiefsten Innern, daß es etwas wie eine Sammlung von Duplikaten gebe, daß alle Phänomene sich auf einige wenige Grundmuster zurückführen ließen. Könnten sie sich von solchen Vorstellungen trennen, sagte er, so würden sie entdecken, daß allen naturwissenschaftlichen Phänomenen eine unendliche Variabilität innewohnt. Jedes Phänomen, jeder Prozeß unterscheidet sich von allen anderen.«
Er brach ab. »Was wir hier auf Diamantia haben, ist ein einzelnes verbleibendes Rätsel. Lösen wir es, so werden die Konsequenzen – jedenfalls nach der Theorie – automatisch folgen, und wir werden einen sofortigen Sieg erringen.«
»Ich weiß nicht«, sagte Bray. »Sofortiger Sieg auf einem Planeten voll von mordlustigen Diamantiern und Irsk erscheint mir absolut unvorstellbar.«
»Gewiß«, sagte Morton. »Auf den ersten Blick sieht es nicht danach aus. Fünfhundert Millionen leidenschaftliche Diamantier und eine Milliarde labile Irsk … Trotzdem, alle diese Leute haben etwas Unschuldiges.«
Bray lenkte den Wagen durch das Straßentor des Palastes, der die Verhandlungsdelegation beherbergte. Die Eskorte blieb zurück. Während er zum Parkplatz fuhr, sagte Bray, daß die Bezeichnung »unschuldig« auf keinen Diamantier zutreffe, den er je kennengelernt habe. »Vielleicht sind die Frauen anders«, fügte er hinzu, »aber darüber weiß ich nichts. Ich habe mich von ihnen ferngehalten.«
Morton sagte nichts. Sie stiegen aus.
»Was mich beschäftigt«, sagte Morton, als sie langsam durch die Gartenanlagen gingen, »ist dieses Konzept der Geistesverbrüderung. Zu keiner Zeit war Lositeen bewußt, daß ich in seinem Schädel saß und die Welt durch seine Augen betrachtete. Doch Marriott und seine Irsk-Freunde wußten, daß die Dunkelheit mein Bewußtsein in ihn verpflanzt hatte. Und Marriott zeigte extreme Unruhe: Zorn, Frustration, Sarkasmus. Aber die Irsk sprachen höflich zu ihm und benahmen sich, als sei die Frage seiner Absetzung durch mich noch nicht endgültig geklärt. Ich sollte irgendwohin gebracht und befragt werden, und bei der Gelegenheit wäre vermutlich eine Entscheidung getroffen worden. Aus alledem schließe ich, daß auch ich bald eine Entscheidung werde treffen müssen. Und so bleibt die Frage –«
Bray blieb stehen. Morton war nicht neben ihm, soweit er in der fast vollkommenen Dunkelheit unter den Bäumen sehen konnte. Er unterdrückte einen Fluch, streckte seinen Arm aus und fühlte umher, aber seine Hand traf nur die laue tropische Nachtluft.
Er drehte um und ging langsam
Weitere Kostenlose Bücher