Chaosprinz Band 2
brauchen einige Sekunden, ehe wir uns wieder beruhigt haben.
»Er will mich schlagen«, meint Alex schließlich schwer atmend und deutet mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf mich.
»Aber nur, weil er mich geärgert hat«, erwidere ich sofort und versuche, das Kissen nach ihm zu werfen. Mit einer geschmeidigen Bewegung weicht er meinem Angriff aus und streckt mir provozierend seine Zunge entgegen.
»Nicht getroffen.«
»Hast du das gesehen?«, frage ich Bettina aufgeregt. »Er hat mir die Zunge rausgestreckt. Das darf man nicht, du musst ihn jetzt bestrafen.«
Bettinas Blick wandert etwas verwirrt zwischen uns hin und her.
»Alex, wir müssen uns mal unterhalten…« Sie sieht irgendwie komisch aus. So blass und… hat sie geweint?
»Was ist denn los?« Auch Alex hat den Ausdruck in dem Gesicht seiner Mutter bemerkt. Er ist nun wieder vollkommen beherrscht, ernst und ruhig. Seine grauen Augen mustern die Gestalt seiner Mutter.
»Also… setzen wir uns erst mal«, meint Bettina mit leiser Stimme. »Tobi, würdest du bitte…« Sie nickt mit dem Kopf in Richtung der Zimmertür und sieht mich dann entschuldigend an.
»Ja, natürlich«, meine ich schnell. Ich werfe noch einen kurzen Blick auf Alex, der mir verwirrt und fragend hinterher schaut. Als ich das Zimmer verlassen will, kommen mir Martha und Maria entgegen.
»Worum geht es denn?«, fragt Maria ungeduldig. »Mom, ich erwarte einen Anruf von Jana. Das ist wichtig. Ihr Freund hat mit einer Schlampe aus der Parallelklasse geknutscht.«
Bettina hört ihrer Tochter gar nicht richtig zu. Sie streckt eine Hand nach Maria aus und zieht sie sanft neben sich auf Alex' Bett. Martha setzt sich mit Alex aufs Sofa. Kurz begegnet mein Blick ihrem. Sie lächelt mich nervös an.
Ich verstehe. Vorsichtig schließe ich die Tür hinter mir. Okay, jetzt ist er also da, der Moment der Wahrheit. Martha hat Bettina von Markus' Rückkehr nach München erzählt und nun werden auch Maria und Alex erfahren, dass ihr Vater wieder in der Stadt ist.
Zitternd und mit einem seltsam flauen Gefühl im Magen stehe ich vor der verschlossenen Tür, starre sie nervös an und lausche. Worauf warte ich? Auf Wutschreie? Tränen? Ausrufe der Ungläubigkeit, des Zorns? Ich weiß es nicht. Eilig drehe ich mich um. Ich kann hier nicht stehen bleiben. Ich muss weg, woanders hin. Langsam schlurfe ich den Flur entlang.
Ich habe nicht darauf geachtet, wohin mich meine Füße getragen haben. Verwirrt hebe ich den Kopf, schaue mich um. Ich stehe vor Pas Arbeitszimmer. Die Tür ist offen. Ich kann ihn sehen, wie er dort an seinem Schreibtisch sitzt und auf der Tastatur seines Computers herumhämmert.
Der moderne, gläserne Tisch steht vor einem großen Fenster. Am Tag und bei Sonnenschein lässt es bestimmt viel Licht und Helligkeit in den großen Raum. Nun ist es allerdings stockdunkel draußen und Pa musste die Lampe auf seinem Schreibtisch anschalten.
Ich war erst ein- oder zweimal in seinem Arbeitszimmer. Um ehrlich zu sein, habe ich es immer vermieden, hierherzukommen. Ich habe es immer vermieden, mit ihm allein zu sein…
»Hallo«, sage ich.
Er dreht sich erschrocken um, erblickt mich im Türrahmen und macht ein überraschtes Gesicht.
»Hallo?«, meint er fragend.
Zögernd betrete ich den Raum. Hinter dem breiten Schreibtisch befindet sich ein langes Bücherregal. An der Wand gegenüber steht eine schwere, dunkle Ledercouch. Seufzend lasse ich mich auf ihr nieder. Pa mustert mich immer noch misstrauisch.
»Was ist?«, fragt er.
»Nichts…« Was soll ich ihm antworten? Ich weiß doch selbst nicht, warum ich jetzt hier bei ihm bin…
»Du warst wieder nicht zum Abendessen da«, meint Pa schließlich, weil ihm scheinbar sonst kein Thema einfällt, über das wir reden können.
»Ja, ich hatte was zu erledigen…«, murmle ich ausweichend.
»Und das konntest du nicht verschieben?« Die Anklage in seiner Stimme ist nicht zu überhören. »Du sagst doch immer, es sei so wichtig, als Familie gemeinsam zu essen.«
»Ja, der Meinung bin ich auch nach wie vor«, zische ich leise. »Aber da es dir egal ist, ob wir zusammen essen oder jeder einzeln für sich isst, brauchst du dich jetzt nicht so künstlich aufzuregen.«
Er sieht mich an. »Es ist mir nicht egal«, erwidert er schließlich langsam.
Ich zucke nur die Schultern. Wir schweigen. Ich bereue es, nicht einfach an seinem Zimmer vorbeigegangen zu sein. Warum musste ich ihn ansprechen? Warum konnte ich ihn nicht einfach ignorieren,
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