Chaosprinz Band 2
Keine Antwort. »Alex?!«
Er verlässt den Raum. Seine Schritte poltern auf der Treppe. Dann wird eine Tür zugeschlagen. Die Haustür.
Heulend verkrieche ich mich im Bett. Das Kopfkissen riecht nach ihm. Nun habe ich wirklich das starke Bedürfnis, mich zu übergeben. Heftig schluchzend drücke ich mein Gesicht in die weichen Daunen und atme tief ein. Alex' süßer Duft… Wie konnte ich das nur so dermaßen verbocken? Ich hätte es wissen müssen.
Eine halbe Stunde liege ich einfach nur so da. Ich bewege mich überhaupt nicht. Das Ein- und Ausatmen benötigt meine gesamte Aufmerksamkeit. Dann packt mich eine wilde, aufreibende Unruhe. Mit Herzrasen springe ich aus dem Bett.
Eilig ziehe ich mir etwas über und haste, so schnell ich nur kann, hinunter ins Erdgeschoss des Hauses. Panik beherrscht mich. Wo ist Alex? Ist er fort? Hat er mich allein zurückgelassen?
Nein. Der Wagen steht vor dem Haus. Alex' Geldbeutel, sein Handy und seine Klamotten sind ebenfalls noch da. Aber wo ist er?
Weil ich das Gefühl habe, zu platzen, wenn ich nicht irgendetwas tue, fange ich an, aufzuräumen. Nach eineinhalb Stunden ist das gesamte Haus tipptopp sauber und ich bin total erledigt. Alex ist immer noch nicht da.
Ich gehe unter die Dusche. Ich koche eine Kleinigkeit. Ich esse. Ich mache den Abwasch. Ich schalte den Fernseher an. Ich zappe durch die Programme. Ich schalte den Fernseher wieder aus. Ich versuche, Marc zu erreichen, doch der geht nicht ans Telefon. Ich wähle die Nummer von zu Hause, weiß aber nicht, was ich ihnen sagen soll, und lege daher sofort wieder auf.
Es ist achtzehn Uhr, als ich mich schließlich total verwirrt und erschöpft ins Bett schleppe.
Wo bist du, Alex?
Die rasenden Gedanken in meinem Kopf verursachen höllische Schmerzen. Wieder kämpfe ich gegen das Gefühl der Übelkeit. Mein Herz schlägt schwer und sehnsuchtsvoll. Komm bitte wieder zurück zu mir…
***
Es ist die Haustür, die mich weckt. Verschlafen höre ich Schritte auf der Treppe.
»Alex?«, hauche ich hoffnungsvoll.
»Hm…« Im Zimmer ist es stockdunkel. Eine schwarze Silhouette steht im Türrahmen und sieht mich an. Ich bekomme sofort eine Gänsehaut. Nervös setze ich mich auf.
»Ich bin froh, dass du wieder –«
»Sei still!«, unterbricht er mich mit tiefer Stimme.
Ich zucke erschrocken zusammen und schweige. Er zieht sich aus. Unsicher lege ich mich wieder hin und beobachte jede seiner schattenartigen Bewegungen. Ich zittere. Ohne ein weiteres Wort steigt er zu mir ins Bett. Die Matratze hebt und senkt sich. Mit wild klopfendem Herzen liege ich stocksteif da.
Sprich mit mir, bitte! Sag etwas, irgendwas...
Doch er hört nicht auf mein stummes Flehen. Er sagt kein Wort. Er küsst mich.
47. Kapitel
Die Rückkehr
Mit jedem zurückgelegten Kilometer ist die Stimmung in dem kleinen Ford ernster geworden. Nun sitzen wir seit etwa einer Viertelstunde komplett schweigend nebeneinander. Die Gegend wird immer vertrauter. Ein Blick aus der Frontscheibe zeigt uns bekannte Straßen, Häuser und Läden. Bald sind wir zu Hause. Es dauert nicht mehr lang.
Alex wird nervös. Und wenn Alex nervös wird, dann werde auch ich nervös. Im Augenwinkel sehe ich seine Finger, die hektisch auf dem Lenkrad herumtrommeln.
»Alles okay«, flüstere ich leise. »Mach dir keine Sorgen.«
»Mir geht es gut«, meint er mit kratziger Stimme. Das ist gelogen. Die Anspannung seines Körpers ist förmlich greifbar. Er beißt die Zähne so fest aufeinander, dass sich die Kieferknochen deutlich unter der zarten Haut abzeichnen. Das Trommeln seiner Finger wird stärker. Mir ist, als könnte ich seinen harten, schnellen Herzschlag hören und spüren.
Wir stehen an einer Ampel, biegen rechts ab und fahren eine Einbahnstraße entlang. Auch dieses Viertel ist mir vertraut. Sehr sogar. Ich kenne es gut.
»Hier wohnen Freunde von mir«, rufe ich aufgeregt. Vor lauter Schreck tritt Alex heftig auf die Bremse und starrt mich erschrocken an.
»Himmel, was schreist du denn auf einmal so, Bambi?«, keucht er atemlos.
»Tut mir leid, das war keine Absicht«, gebe ich kleinlaut zu. Marcs Haus ist nur ein paar Meter von uns entfernt. »Ich würde gerne kurz Hallo sagen«, nuschle ich unsicher.
»Gute Idee«, findet Alex und steuert die nächste freie Parklücke an.
Ich bin davon überzeugt, Alex würde auch den Besuch beim Steuerberater als eine gute Idee bezeichnen, Hauptsache, er kann sich noch ein bisschen vor dem Wiedersehen mit seinen Eltern drücken.
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