Chaosprinz Band 2
der Bushaltestelle herüber. Sie ignorieren mich.
»Was ist dein Problem?«
»Mein Problem bist du!« Nun kreischt sie. »Der perfekte Alex, der kluge Alex… Wie ich das hasse! Ständig heißt es: Nimm dir mal ein Beispiel an Alex! Alex hat das auch geschafft. Alex hat das auch gemacht! Weil dich alle so toll finden und so perfekt. Nur ich weiß, wie du wirklich bist: Eiskalt und gefühllos! Ich hasse dich!«
Tränen rinnen ihr über die Wangen. Ihr hübsches Gesicht ist vor Wut und vor Trauer verzerrt. Ich stehe verzweifelt daneben und weiß nicht, was ich tun soll. Alex starrt seine Schwester stumm an. Sein Körper bebt vor unterdrückter Anspannung. Er sagt nichts. Ich wünschte, er würde es tun.
Auch Maria scheint auf eine Antwort zu warten. Dann schnaubt sie, halb lachend, halb weinend…
»Was habe ich auch erwartet?«, murmelt sie mehr zu sich selbst als zu uns. Sie presst ihre Tasche an sich und geht. Ihr langes, glattes Haar fliegt hinter ihr her, neugierige, überraschte Blicke folgen ihr.
Einige ältere Schüler, die ganz in der Nähe stehen, schauen immer wieder interessiert zu uns herüber. Na toll, auch das noch. Es wird nicht lange dauern, bis sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer in der gesamten Schule herumgesprochen hat: Die Ziegler-Geschwister haben sich mitten auf dem Parkplatz angeschrien! Was für ein Skandal.
Ich seufze und fahre mir vollkommen überfordert durch die Haare.
»Alex…«, flüstere ich leise und frage mich im selben Augenblick, wie dieser Satz wohl weiter gehen soll.
»Lass uns reingehen.« Er dreht sich um. Ich möchte zweitausend Dinge sagen und bringe doch kein Wort über die Lippen. Trösten ist so schwierig.
Ich gehe neben ihm her. Es gelingt mir kaum, mit ihm Schritt zu halten.
»Sie hat das alles nicht so gemeint…«, nuschle ich.
»Doch, hat sie.« Keine Regung auf seinem Gesicht.
»Alex…« Ich greife nach seinem Arm und halte ihn fest. »Bitte warte mal.«
Er bleibt stehen. Ungeduldig sieht er mich an.
»Komm!« Ich gehe voran. Er folgt mir tatsächlich. Wir verschwinden hinter ein paar dürren, blattlosen, braunen Büschen. Ein guter Ort, um nicht gesehen zu werden.
Er kramt in seiner Tasche. Seine Finger zittern, als er sich die Zigarette anstecken möchte. Ich nehme ihm das Feuerzeug aus der Hand und mache es an. Vorsichtig halte ich ihm die kleine Flamme hin. Er zieht fest an dem Filter. Das andere Ende der Zigarette beginnt, hell zu glühen. Ich lasse das Feuerzeug sinken.
»Danke.« Er streckt eine Hand nach dem kleinen roten Plastikteil aus. Ich reiche es ihm. Dabei fällt mein Blick auf seine Handinnenfläche. Vier kleine, halbmondförmige Abdrücke sind dort zu sehen. Gerötet und wund… Seine Fingernägel, die sich tief und schmerzend in das zarte Fleisch gebohrt haben.
Er hat meinen Blick richtig gedeutet und will seine Hand schnell zurückziehen. Ich lasse es nicht zu, halte ihn fest. Sanft umklammere ich die Finger und führe sie vorsichtig nach oben, an meinen Mund. Ich drücke meine Lippen auf die wunden Stellen, küsse die warme Innenfläche seiner Hand.
»Sie hasst dich nicht«, hauche ich leise.
Er sagt nichts. Mit glänzenden Augen beobachtet er mich, beobachtet, wie ich die weiche, geschundene Haut erneut küsse.
»Wenn du ihr nichts bedeuten würdest, dann könnte sie gar nicht solche Dinge zu dir sagen. Sie will dich verletzen, damit du reagierst, damit du ihr zeigst, was du für sie empfindest.«
»Ich habe immer alles für sie getan«, meint er mit erschreckend rauer Stimme. »Ich habe sie beschützt und auf sie aufgepasst…«
»Ich weiß«, flüstere ich sanft. »Aber sie fühlt sich eben manchmal etwas überfordert und allein gelassen. Maria braucht viel Aufmerksamkeit und viel Liebe.«
»Egal, was davon ich versucht habe, ihr zu geben, sie wollte nie etwas von mir annehmen.« Ich kann das Zittern fühlen, das durch seinen Körper wandert. »Sie denkt wahrscheinlich, dass ich daran schuld bin, dass unser Vater abgehauen ist…«
Ich sehe ihn ernst an. »Das ist totaler Blödsinn, Alex.«
Er senkt den Blick. Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, presse seine Hand fest an meine Brust.
»Alles ist in Ordnung, Liebling«, flüstere ich leise. »Sie wird sich wieder beruhigen. Zeig ihr einfach nur, dass du für sie da bist, wenn sie dich braucht.«
Er atmet etwas regelmäßiger. Das Zittern wird schwächer und verschwindet schließlich ganz. Auch ich komme endlich wieder etwas zur Ruhe. Was für ein Drama. Damit habe
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