Chaosprinz Band 2
eine Packung Papiertaschentücher holt.
»Hier.« Er reicht mir ein Tuch. Ich putze mir geräuschvoll die Nase. Marc streichelt mir beruhigend über das Haar. »Vielleicht solltest du doch mal zu einem Friseur…«, murmelt er.
»Was hat denn das mit dem aktuellen Thema zu tun?«, frage ich bissig.
»Nichts«, meint Marc und spielt mit den langen Strähnen. »Alex hat doch nicht vor, dich zu verlassen, oder?«
»Das sagt er zumindest«, murmle ich finster.
»Du glaubst ihm nicht?«
»Marc, er wird was weiß ich wie viele Kilometer von mir entfernt sein, das kannst du doch nicht mehr Beziehung nennen.«
»Viele Leute haben sehr glückliche Fernbeziehungen.«
»Aber wir nicht«, fauche ich.
Wir schweigen. Ich starre an die hohe, stuckbesetzte Decke. Marc liegt immer noch neben mir und streichelt mein Haar.
»Ich kann ihn schon verstehen – zumindest ein bisschen«, meint Marc leise. »Wer würde denn nicht gerne mal alles hinwerfen und an einem neuen Ort vollkommen unbefangen und frisch von vorne anfangen? So eine Chance bietet unendliche Möglichkeiten.«
»Toll«, hauche ich mit kratziger Stimme. »Und ich bin in diesem Fall die Altlast, die man loswerden will.«
Marc sieht mich ernst an. »So habe ich das nicht gemeint, das weißt du. Und Alex will dich mit Sicherheit nicht loswerden, er –«
»Er denkt eben an Dinge, die wichtiger sind…«, hauche ich.
»Nein, er liebt dich, aber –«
»Aber das ist nicht genug.« Mit beiden Händen bedecke ich die Augen. Heiß rinnen die Tränen meine Wangen hinunter. Ich schluchze. »Alle, die ich liebe, verlassen mich… Erst Pa, dann Ma und jetzt Alex… Sie behaupten, dass ich ihnen wichtig wäre, aber ich bin ihnen anscheinend nicht wichtig genug, sonst würden sie doch bei mir bleiben, oder? Ich dachte immer, Liebe sei der Mittelpunkt des Lebens.
Pa war es wichtiger, seinem Idealbild zu folgen, Ma wollte nur ihre eigenen Träume erfüllen und Alex versucht lieber, seinen Stolz wiederzufinden, als gemeinsam mit mir glücklich zu werden. Ich bin immer nur zweite Wahl. Ich werde immer nur verlassen. Sie ziehen fort, um ihr Glück zu finden, und scheinbar bin ich kein Teil davon.«
Marc zieht mich in seine Arme. Ich drücke mich weinend an ihn. Er streichelt mir beruhigend über den Rücken. In großen Kreisen bewegt sich seine Hand über meinen bebenden Körper.
»Ist ja gut«, flüstert er leise. »Oh, Tobi, ich kann mir vorstellen, wie verletzt und traurig du dich gerade fühlst, aber ich bin davon überzeugt, dass dich deine Eltern und auch Alex sehr lieben. Sie wollen dir mit Sicherheit nicht wehtun.«
Ich schnaube – mein einziger Kommentar.
»Tobi.« Marc hilft mir dabei mich ein bisschen aufzurichten. »Es ist bewundernswert, wie sehr du an die Liebe glaubst und wie überzeugt und ehrlich du an ihr festhältst. In deiner Welt ist sie die größte und wichtigste Macht und wenn es mehr Menschen wie dich geben würde, dann wäre dieser Planet wohl ein besserer und fröhlicherer Ort, aber es ist leider nicht immer so einfach…«
Er schaut mir fest in die Augen. »Du musst lernen, auch mal egoistisch zu sein. Ein gesunder Egoismus kann eine wichtige Schutzhülle sein. Es wird Zeit, dass du deine eigenen Entscheidungen triffst und aufhörst, deinen Lebensweg von dem Willen anderer Menschen abhängig zu machen. Auch oder gerade weil du sie liebst.«
»Mit anderen Worten: Ich muss genauso kalt, verschlossen und verbittert werden wie du«, zische ich aufgebracht.
Marcs Augen weiten sich. Er lässt mich los und rutscht langsam von mir weg. Der Inhalt meiner eigenen Worte lässt mich zusammenzucken. Ich beiße mir so heftig auf die Unterlippe, dass ich Blut schmecke. Was bin ich doch für ein widerliches Arschloch. Sofort werfe ich Marc einen entschuldigenden Blick zu.
»Tut mir leid, das war total gemein. Ich habe das nicht so sagen wollen…«, hauche ich reuevoll.
Marc starrt schweigend auf die Bettdecke zwischen uns. Ich beeile mich, robbe an ihn heran und schlinge meine Arme um seinen Hals. Er stößt mich nicht fort und darüber bin ich sehr froh.
»Ich bin durcheinander und rede Schwachsinn. Bitte verzeih mir!«, flüstere ich ihm flehend ins Ohr.
Er nickt schwach. »Schon okay«, meint er schließlich leise. »Wo du recht hast…«
»Nein, nein«, widerspreche ich eilig. »Ich habe nicht recht, ich bin ein dummer Idiot, sonst nichts.«
Zögernd löse ich mich von ihm und suche in seinen dunklen Augen nach Verständnis. Er nickt noch
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