Chaosprinz Band 2
spricht, wie er versucht, Bettina jeden Wunsch zu erfüllen. Und wie er mich zum ersten Mal nach Jahren in den Arm nimmt…
»Er versucht es«, sage ich mit kratziger Stimme. »Er will ein guter Ehemann und Vater sein… Er versucht es…«
Markus scheint nicht zu wissen, wie er auf diese Antwort reagieren soll, darum nickt er nur stumm.
»Ich würde sie schon gerne mal sehen«, nuschelt Markus nach einer Weile. »Aber ich traue mich nicht. Wenn ich sie sehe, dann muss ich auch mit ihnen sprechen, und ich habe keine Ahnung, was ich tun soll, wenn sie mir zeigen, dass sie mich hassen oder ich ihnen schlichtweg total egal bin.«
»Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass du ihnen egal bist«, beruhige ich ihn.
Er nickt ernst. Sein Blick fällt wieder auf das Bild. »Weißt du noch, wie der Titel dieses Bildes ist?«, fragt er mich ganz unvermittelt.
»Ähm… Liebe ?«, sage ich etwas verwirrt.
»Du hast beim letzten Mal gemeint, du würdest das nicht verstehen.«
»Ja, stimmt.«
»Es macht auch keinen Sinn… Wenn man die Hintergründe nicht kennt.« Markus lächelt. »So ist das häufig in der Kunst.«
Ich betrachte das Bild. In braunen, roten und gelben Farben ist eine Art Obstschale auf die große Leinwand gemalt worden. Doch beinahe das gesamte Gemälde wird von einem riesigen, blauen Farbklecks bedeckt. Von dem Obst und der Schale ist fast nichts mehr zu erkennen. Ich finde das Bild überhaupt nicht hübsch und begreife nicht, warum er es so stolz an der Wand hängen hat.
»Ich habe damals diese Obstschale gemalt«, meint Markus und lächelt. »Zum Trocknen habe ich die Leinwand auf den Dachboden in unserem Haus gestellt und als ich am nächsten Tag nach oben gestiegen bin, um es mir anzusehen, da war das gesamte Gemälde mit blauer Farbe bespritzt.« Er macht eine Pause und starrt das Bild an.
»Ich wusste gleich, dass es Alex gewesen war. Er war damals fünf Jahre alt. Ich habe ihn zur Rede gestellt. Natürlich war ich wahnsinnig wütend. Ich zeigte ihm das ruinierte Gemälde und fragte, warum er das getan hatte. Normalerweise war er kein wilder Junge. Er machte nie Sachen kaputt und war selten laut. Er sah mich ernst an und schien nach den richtigen Worten zu suchen. Er war erst fünf und wusste nicht, wie er mir seine Gefühle erklären sollte. Schließlich sagte er: Ich habe das gemacht, weil ich dich lieb habe. Und Mama hat dich auch lieb. «
Markus' Augen glänzen. Er lächelt das Bild an. »Ich habe es nicht sofort begriffen. Aber nach einiger Zeit wurde mir klar, was er damit gemeint hatte. Er wollte nicht, dass Bettina und ich uns weiter streiten, er wollte nicht, dass wir uns trennen. Er dachte wohl, dass alles gut wird, wenn ich aufhöre, zu malen. Vielleicht hat er auch einmal einen Streit oder ein Gespräch mit angehört, bei dem es um meine Kunst ging, keine Ahnung. Jedenfalls war seine Tat ein Ausdruck seiner Liebe… Auch, wenn es nicht für jedermann gleich offensichtlich ist.«
Ich kann meinen Blick nicht mehr von der Leinwand nehmen. Nun sehe auch ich es mit vollkommen anderen Augen. Der fünfjährige Alex, der hofft, mit Hilfe eines Farbeimers die Beziehung seiner Eltern retten zu können. Weil er sie lieb hat.
»Was hast du dann gemacht?«, frage ich leise.
»Ich war tief erschüttert. Ich wollte nie, dass meine Kinder unglücklich sind. Maria war noch sehr klein, aber Alex bekam schon eine Menge mit. Er war immer sehr sensibel und ich wollte nicht, dass er unter unseren Problemen leidet. Also konzentrierte ich mich wieder auf meine Arbeit als Bauarbeiter und ließ die Malerei fürs Erste sein. Aber das war natürlich keine Lösung und am Ende ist doch alles so gekommen, wie es eben gekommen ist…« Er seufzt.
»Doch dieses Bild, das habe ich nie wegwerfen können. Ich habe es behalten, denn es bedeutet mir sehr viel. Liebe – genau das drückt es aus, dafür steht es und daran erinnert es mich immer wieder, wenn ich es ansehe.«
»Ich verstehe«, sage ich ernst. Was Alex wohl empfinden würde, wenn er wüsste, dass sein Vater dieses ruinierte Gemälde dreizehn Jahre lang aufbewahrt und in Ehren gehalten hat?
»Tobias!«
Ich fahre erschrocken zusammen und drehe mich ruckartig um. In der Eingangstür steht Martha und sieht mich schockiert an. Ich bekomme einen roten Kopf und senke sofort schuldbewusst den Blick.
»Ich habe es doch gewusst«, ruft Martha aufgebracht. »Ich wusste, dass du hierherkommen würdest. Haben wir nicht ausgemacht, dass wir erst einmal in
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