Charlie Chan macht weiter
bißchen bleicher geworden, fand Duff.
»Haben Sie mich verstanden, Mr. Tait! Drake wurde in Honywoods Zimmer umgebracht.«
Der alte Mann warf seine Zeitung beiseite. »Vielleicht sind Sie doch ein besserer Detektiv, als ich gedacht hatte. Dann haben Sie das also herausgefunden.«
»So ist es. Wollen Sie unter diesen Umständen Ihre Geschichte nicht ein bißchen abändern?«
Tait nickte. »Ich werde Ihnen erzählen, wie es gewesen ist. Vermutlich werden Sie es nicht glauben, aber das spielt keine Rolle. Am frühen Morgen des 7. Februar wurde ich durch Geräusche geweckt, die auf eine Art Kampf in dem Zimmer neben dem meinen schließen ließen. Das war Honywoods Zimmer. Es war ein extrem kurzer Kampf, der schon beendet schien, als ich voll zu mir gekommen war. Ich überlegte, was ich tun sollte. Im Grunde war ich gerade dabei, ein paar Monate zu entspannen, und der Gedanke, in etwas hineingezogen zu werden, was mich nichts anging, war mir zutiefst zuwider. Natürlich dachte ich keine Sekunde an Mord. Außerdem war alles bereits wieder ruhig. So beschloß ich, weiterzuschlafen und es zu vergessen.
Am nächsten Morgen bin ich sehr früh erwacht. Ich ging auswärts frühstücken, und nachdem ich meinen Kaffee getrunken hatte – er ist mir verboten, aber, verdammt noch mal, niemand kann ewig leben –, machte ich einen Spaziergang im St. Jame’s Park. Als ich ins ›Broome’s‹ zurückkehrte, traf ich am Eingang der Clarges Street einen Diener, der mir erzählte, daß in der oberen Etage ein Amerikaner ermordet worden sei. Er wußte den Namen nicht, doch mir fiel plötzlich der Kampf wieder ein. Honywood! Ich hatte gehört, wie Honywood ermordet worden war und hatte nichts unternommen, um ihm zu helfen.
Ich hatte also bereits meinen ersten Schock weg, als ich an der Tür zum Salon mit Ihnen zusammentraf. Mit der Gewißheit, daß Honywood tot oben in seinem Zimmer lag, überschritt ich die Türschwelle. Er war der erste, den ich sah. Das war zu viel für mich. Mein Herz versagte.«
Duff nickte. »Aber Sie haben mir nichts von dem Kampf in Honywoods Zimmer erzählt. War das sehr fair von Ihnen?«
»Wahrscheinlich nicht. Aber als ich Sie wiedersah, war ich sehr schwach. Mein einziger Gedanke war, mich – wenn möglich – aus der ganzen Geschichte herauszuhalten. Sie hatten Ihren Job – es war Ihre Sache. Ich wollte nur meinen Frieden, nichts weiter. Das ist meine Geschichte. Glauben Sie sie oder glauben Sie sie nicht.«
Duff lächelte. »Ich bin geneigt, sie zu glauben, Mr. Tait. Natürlich vorbehaltlich in Hinblick auf das, was die Zukunft enthüllen wird.«
Taits Blick wurde etwas sanfter. »Sie sind doch ein besserer Kriminalbeamter, als ich geglaubt hatte.«
»Danke. Ich denke, wir sind schon in San Remo.« Während der Hotelbus in der Dämmerung durch die Straßen schaukelte, richtete Dr. Lofton ein paar Worte an seine Schäflein.
»Wir werden morgen mittag weiterfahren«, verkündete er. »Niemand sollte mehr auspacken, als unbedingt notwendig ist. Wir müssen zum frühest möglichen Zeitpunkt nach Genua aufbrechen.«
Gleich darauf hielten sie vor dem »Palace Hotel«. Duff mietete sich ein Zimmer im ersten Stock, direkt an der Treppe. Nicht weit von seiner Tür befand sich der Lift.
Obgleich er kein leicht zu erregender Typ war, klopfte sein Herz in einem überraschend schnellen Rhythmus. Das »Palace« gehörte nicht zu den riesigen Protzbauten der Stadt. Da es nur noch eine halbe Stunde bis hin zum Dinner war, herrschte in der Lobby und auf den Korridoren eine ruhige Atmosphäre. Die Gäste waren beim Umkleiden.
Duff hatte am Empfang in Erfahrung gebracht, daß Miß Sybil Conway in der vierten Etage wohnte. In seinem Zimmer stand ein Telefon. Er rief sie an und hörte im nächsten Moment wieder diese angenehm leise, musikalische Stimme.
»Inspector Duff von Scotland Yard«, wisperte er leise.
»Ich bin so froh! Das Warten war schrecklich. Ich – ich bin bereit.«
»Gut. Wir müssen uns sofort sehen. Die Teilnehmer der Reisegesellschaft sind alle in ihren Zimmern, aber sie werden gleich zum Dinner in der Lobby auftauchen. Während wir auf sie warten, können wir uns unterhalten.«
»Ich bringe Ihnen den Brief mit, den mein Mann mir aus London geschrieben hat. Er wird viele Dinge aufklären. Und danach…«
»Danach werden wir beobachten, wie Dr. Loftons Gesellschaft zum Dinner geht. Ich habe unser Versteck bereits ausgewählt, hinter einer Palmengruppe. Vorher unterhalten wir uns in einem
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