Charlie Chan macht weiter
Operationssaal!« schlug der Chirurg vor. »Der Patient hat ein bißchen gesprochen, aber mehr im Delirium. Doch vielleicht können Sie irgendwas damit anfangen.«
In dem Angst einjagenden OP neigte sich Charlie über die in ein Laken eingehüllte Gestalt seines Freundes.
»Inspector«, sagte der Chinese sanft, »ich bin Charlie Chan. Was für eine schreckliche Geschichte! Tut mir so leid. Sagen Sie – haben Sie Gesicht von Angreifer erkannt?«
Duff bewegte sich leicht und sprach mit schwerer Stimme.
»Lofton«, murmelte er. »Lofton – der Mann mit einem Bart…«
Charlie hielt den Atem an.
»Und da ist noch Tait«, murmelte Duff weiter. »Und Fenwick. Wo ist Fenwick jetzt? Vivian – Keane…« Charlie wandte sich traurig ab. Der arme Duff ging nur noch einmal die Liste seiner Verdächtigen durch.
»Sie sollten jetzt besser gehen, Mr. Chan«, sagte der Chirurg.
»Möchte nur noch eines sagen. Sie werden morgen oder wann immer er erwacht, überaus ruhelosen Patienten haben. Er wird dringenden Wunsch äußern, aufzustehen und Spur wieder zu folgen. Besänftigen Sie ihn mit diesen Worten von mir: Sagen Sie ihm, Charlie Chan ist mit ›President Arthur‹ nach San Francisco gefahren und wird Schuldigen gefaßt haben, bevor Schiff Küste des Festlandes erreicht. Kleiden Sie es in Form von Versprechen und setzen Sie dazu, es kommt von jemandem, der bisher noch nie Versprechen an einen Freund nicht eingelöst hat.«
Der Chirurg nickte ernst. »Ich werde es ihm sagen, Mr. Chan. Und jetzt werden wir unser Bestes versuchen. Das ist mein Versprechen an Sie.«
Es war neun Uhr fünfundvierzig, als Charlie und der Zahlmeister am Pier anlangten. Vor dem Landungssteg entdeckte Charlie seinen Sohn Henry und neben ihm eine kleine, untersetzte Gestalt in schwarzer Seide – Mrs. Chan, die immer noch wie beim Dinner gekleidet war.
Charlie ging zu ihnen. In Begleitung des Zahlmeisters führte er sie die Gangway hoch. Ein Offizier, der an einem kleinen Pult unten am Landungssteg stand, musterte sie neugierig, als sie vorbeigingen.
An Deck blickte Mrs. Chan schüchtern zu ihrem Mann auf.
»Wo fährst du jetzt hin, bitte?« wollte sie wissen.
Er streichelte zärtlich über ihren Rücken und erzählte ihr, was in seinem Büro passiert war und seine sofortige Abreise notwendig machte. Die kleine sanfte Frau verstand ihn, wenn sie auch Angst um ihn hatte. Charlie erklärte, daß man seinem Schicksal nicht entgehen könne, und wies auf das Wiedersehen mit seiner Tochter Rose hin, auf das er sich freue, woraufhin plötzlich Tränen auf Mrs. Chans runden Wangen glänzten. Unterdessen kamen immer wieder kleine Grüppchen die Gangway hinauf; sie bummelten kurz an Deck herum und verteilten sich dann auf ihre Kabinen. Augenscheinlich war nichts Aufregendes auf dieser Schiffsreise zu erwarten.
Auch Chans Chef tauchte auf.
»Ah – da sind Sie ja, Charlie!« rief er aus. »Ich habe noch sechzig Dollar für Sie auftreiben können.«
Er gab ihm einen Packen Scheine.
»Sie überhäufen mich mit Ihrer Freundlichkeit.«
»Ich überweise Ihnen telegrafisch noch mehr – damit Sie heimkommen können, sobald Sie Ihren Mann geschnappt haben. Und Sie werden ihn schnappen – da bin ich ganz sicher«, sagte der Chef.
»Jetzt, wo ich Zeit zum Nachdenken habe, bin ich nicht mehr so sicher«, antwortete Chan. »Scheint, daß ich mir eine ziemlich schwierige Aufgabe gewählt habe. Ich weiß nur aus Gespräch mit Inspector Duff, daß einzig eine Sache ihn glücklich machen kann: Ich muß Identität des Mannes aufdecken, der vor mehr als drei Monaten im ›Broome’s Hotel‹ in London einen Mord begangen hat. War die ganze Zeit achttausend Meilen vom Schauplatz des Verbrechens entfernt, und nun muß ich es aufklären, jetzt wo alle Spuren kalt sind, die Fährte zugeschüttet ist und ohne Zweifel der einzige entscheidende Punkt, der zu einer Verhaftung hätte führen können, von allen Betroffenen vergessen wurde. Kommt mir nun so vor, als hätte ich mich heute abend hitzig auf Job eines Supermannes gestürzt, ohne notwendiges Rüstzeug zu besitzen. Vielleicht komme ich schon bald nach Hause gekrochen, besiegt und aller Ehre beraubt.«
»Ja – aber vielleicht ist es auch nicht so«, entgegnete sein Chef. »Es sieht zwar nach einer schwierigen Aufgabe aus, das ist wahr, aber…«
Er wurde von einer kleinen, keuchenden Gestalt unterbrochen, die plötzlich aus der Dunkelheit aufgetaucht war. Es war Kashimo.
»Hallo, Charlie!« rief der Japaner
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