Charlie Chan macht weiter
zurückkehrte, traf er den Japaner allein an. »Habe soeben dem Chef Neuigkeit über Ihre Abreise durchgegeben«, teilte Chan ihm mit. »Dieser Job als Klingelboy ist eine brillante Lösung. Sonst wäre Frage aufgetaucht, wer Ihre Passage zahlt, und ich habe große Angst, daß jedermann Ehre abgelehnt hätte.«
»Gehe jetzt lieber zu Bett«, sagte Kashimo.
Charlie gab ihm einen seiner Schlafanzüge und bemerkte fröhlich: »Sie sehen aus wie ein Ballon, aus dem die Luft entwichen ist.«
Kashimo grinste. »Kann in jeder Situation schlafen.« Und damit kletterte er in sein Bett.
Charlie schaltete die Lampe über seinem Kopfkissen ein, machte alle sonstigen Lichter aus und legte sich mit Duffs Aktentasche ebenfalls zu Bett. Er schnallte die Riemen auf und holte ein dickes Bündel Papier heraus. Duffs Notizblätter waren numeriert, und Charlie war erleichtert, daß nichts fehlte. Entweder hatte Jim Everhard Angst gehabt, das Büro nach seinem Anschlag zu betreten, oder aber er hatte geglaubt, daß sich unter den Papieren nichts befand, was er zu fürchten hatte.
»Ich sollte Sie vielleicht nicht stören, Kashimo«, bemerkte Charlie, »aber blinde Passagiere dürfen nicht zu anspruchsvoll sein. Muß jetzt die Geschichte unseres Falles lesen, bis ich sie auswendig weiß und sie mir in Fleisch und Blut übergegangen ist.«
»Wird mich nicht stören.« Der Japaner gähnte.
Charlie seufzte. »Nur das Vergnügen und keine Verantwortung. Sie führen glückliches Leben. Aber ich bin dankbar für Hinweis auf hinkenden Mann. Werde ihm besondere Aufmerksamkeit schenken.«
Er begann zu lesen. London, bisher nichts weiter als ein Name, wurde eine vertraute Stadt für ihn. Alle Ereignisse sah er lebhaft vor Augen. Auch Honywoods Brief an seine Frau las er gewissenhaft, und schließlich hatte sich jedes Detail des Falles in seinen Geist eingebrannt.
Duff hatte ihm zwar schon einmal alles erzählt gehabt, doch in jenem Moment schien ihn die Geschichte noch wenig anzugehen. Aber nun war es sein Fall. Nichts durfte ihm entgehen, nichts durfte übersehen werden.
Als letztes hatte Duff die Unterhaltung mit Pamela Potter am Nachmittag in Honolulu festgehalten, in der sie ihm von Welbys Entdeckung des Schlüssels berichtet hatte.
Seine Notizen waren also gottlob auf dem letzten Stand der Dinge gewesen.
Als Chan fertig war, sagte er nachdenklich zu Kashimo: »Dieser Ross scheint mir irgendwie interessant. Bleibt immer im Hintergrund, humpelte still für sich herum, niemals ein Hinweis gegen ihn – bis jetzt. Ja, Kashimo, um Mrs. Ross sollten wir uns als erstes kümmern.«
Ein lautes Schnarchen von dem Bett gegenüber war die einzige Antwort. Charlie sah auf seine Uhr. Es war nach Mitternacht. Er begann noch mal von vorn zu lesen. Es war bereits nach zwei Uhr, als er endlich das Licht löschte, doch schlafen konnte er immer noch nicht.
Um sieben Uhr dreißig zerrte er seinen Weinen Assistenten grob aus seinem Schlummerland. Kashimo brauchte eine Weile, ehe er begriff, wo er sich befand.
Während er flüchtig Toilette machte, klärte ihn Charlie ein bißchen über den Fall auf, mit besonderer Betonung des Teiles, den der Japaner zu übernehmen hatte. Kashimo sollte die Sachen der Reiseteilnehmer durchwühlen und nach dem Schlüssel mit der Nummer 3260 suchen. Vielleicht fand er ihn, vielleicht aber lag er auch schon auf dem Boden des Meeres.
Der Japaner nickte benommen. Zwei Minuten vor acht war er für seine Vorstellung beim Chef-Steward bereit.
»Vergessen Sie nicht, Kashimo, zu große Hast kann zu fatalem Ende führen«, ermahnte ihn Chan als letztes.
»Lassen Sie sich Zeit und machen Sie sich klar, was Sie tun, bevor Sie es tun! Wenn Sie mich auf dem Schiff treffen, so haben Sie mich nie zuvor gesehen. Alle Gespräche zwischen uns müssen äußerst geheim in dieser Kabine geführt werden. Viel Glück!«
»Bis später!« sagte Kashimo und ging.
Charlie stand eine Weile am Bullauge und starrte auf das sonnenüberflutete Meer. Der erste Morgen auf einem Schiff hatte etwas Belebendes und auch Beruhigendes; man fühlte sich sicher, so weit weg vom Festland und seinen Unruhen. Es war ein herrlicher Tag, und auch für Chan sah die Zukunft wieder verheißungsvoll aus.
Er rasierte sich gerade, als ein Schiffsjunge an seine Tür klopfte und ihm ein Funktelegramm von seinem Chef überreichte. Er las:
Chirurg erstattet Bericht: Operation O. K. Duff geht es gut. Aufrichtige Beileidsbezeigungen zu Kashimo.
Charlie lächelte.
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