Charlie Chan macht weiter
ist, glaube ich, Captain Keane?«
Keane lehnte sich zurück, unterdrückte ein Gähnen und verschlang die Hände hinter seinem Kopf.
»Ich habe eine Weile beim Bridge zugesehen«, erklärte er. »Nicht daß ich gekiebitzt hätte.« Er sah Vivian an. »Ich mische mich nie in Sachen ein, die mich nichts angehen.«
Charlie dachte an Duffs Unterlagen und Keanes zahlreiche Zwischenspiele vor fremden Türen.
»Und nach dem Bridge?« half er nach.
»Als der Streit ausbrach, ging ich an die frische Luft«, fuhr Keane fort. »Dachte dran, mir meinen kleinen Malakkastock zu holen und von Bord zu gehen, aber der Regen hielt mich davon ab. Mochte noch nie Regen, schon gar nicht diese tropische Ausgabe. So ging ich also in meine Kabine, holte mir ein Buch und kehrte hierher in den Rauchsalon zurück.«
»Ah – Sie besitzen jetzt ein Buch«, bemerkte Chan.
»Sie wollen mich aufziehen, wie?« fauchte der Captain. »Ich hab’ hier gesessen, eine Weile gelesen und ging etwa zu Bett, als das Schiff auslief.«
»War sonst noch jemand hier in diesem Raum?«
»Niemand. Alle waren an Land, einschließlich der Stewards.«
Charlie wandte sich dem Mann zu, den er sich absichtlich bis zum Schluß aufgespart hatte. Ross saß nicht weit entfernt und starrte auf seinen verletzten Fuß herab. Sein Stock lag ohne die Gummikappe auf dem Boden neben ihm.
»Mr. Ross, glaube, Sie werden Liste vervollständigen«, sagte Chan. »Habe gehört, Sie gingen an Land gestern abend.«
Ross blickte überrascht auf. »Ich – nein, Inspector.«
»Tatsächlich nicht? Aber man hat Sie gesehen, als Sie um neun Uhr fünfzehn an Bord zurückkamen.«
»Wirklich?« Ross zog die Brauen in die Höhe.
»Glaubwürdige Quelle, die nicht angezweifelt werden kann.«
»Es tut mir leid, sagen zu müssen, daß sie in diesem Fall trotzdem irrt.«
»Sie sind sicher, Sie haben Schiff nicht verlassen?«
»Natürlich bin ich sicher. Sie müssen zugeben, daß das etwas ist, das ich wissen müßte.« Er blieb vollkommen liebenswürdig. »Ich aß an Bord und saß nach dem Dinner noch eine Weile im Salon. War ein ziemlich harter Tag für mich gewesen. Waren eine Menge herumgelaufen, und das ermüdet mich. Mein Bein schmerzte, deshalb begab ich mich um acht Uhr schon zur Ruhe. Ich schlief tief und fest, als Mr. Vivian, der mit mir die Kabine teilt, hereinkam. Das war etwa so gegen zehn, hat er mir heute morgen erzählt. Er war sehr darauf bedacht, mich nicht zu wecken. Er ist immer sehr rücksichtsvoll.«
Chan musterte ihn nachdenklich. »Trotzdem, Mr. Ross, haben zwei Personen mit untadeligem Leumund gesehen, wie Sie um neun Uhr Gangway heraufkamen und an Deck an ihnen vorbeigingen.«
»Darf ich fragen, wie sie mich erkannt haben, Inspector?«
»Sie trugen Spazierstock – natürlich.«
»Einen Malakka stock.« Ross nickte. »Sie haben ja gesehen, welche Bedeutung das hat.«
»Und, Mr. Ross, Sie gingen mit gewohnter Schwierigkeit – woran unglücklicher Unfall, den wir alle so tief bedauern, schuld ist.«
Ross fixierte den Kriminalbeamten einen Moment lang, ehe er bemerkte: »Ich habe Sie beobachtet, Inspector, Sie sind ein cleverer Bursche.«
»Sie übertreiben schamlos«, entgegnete Chan.
»O nein!« Ross lächelte. »Ich sage Ihnen, Sie sind clever. Doch ich brauche Ihnen wohl nur von einem seltsamen kleinen Zwischenfall zu erzählen, der sich gestern am späten Nachmittag hier auf dem Schiff zutrug.« Er nahm seinen Stock auf. »Der hier wurde nicht in Singapur, sondern in Tacoma gekauft, vor ein paar Monaten, gleich nach meinem Unfall. Nachdem ich ihn erstanden hatte, sah ich mich nach einer Gummikappe um, die über die Spitze paßte. Dadurch wird das Gehen erleichtert, und ich verschramme die Holzböden nicht.
Gegen fünf Uhr gestern nachmittag kehrte ich aufs Schiff zurück und machte ein kurzes Nickerchen in meiner Kabine. Als ich später zum Dinner ging, merkte ich, daß irgend etwas nicht stimmte. Zuerst war mir nicht klar, was, aber plötzlich ging es mir auf. Mein Stock pochte auf den Planken. Erstaunt blickte ich nach unten. Die Gummikappe war weg. Jemand hatte sie entfernt.« Er hielt kurz inne. »Ich erinnere mich, daß Mr. Kennaway in diesem Moment aufkreuzte und ich ihm erzählte, was passiert war.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte Kennaway. »Ich sagte, daß sich wohl jemand einen Scherz erlaubt hat.«
»Es war kein Scherz«, widersprach Ross ernst. »Ich glaube jetzt, daß jemand geplant hatte, sich als mich auszugeben. Jemand, der sich
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