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Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Titel: Charlotte Und Die Geister Von Darkling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Boccacino
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ausgemergelten Kreatur zusammen, die an der steilen Wand hing. Ihre Augen wurden groß, als sie mich sah, und blieben offen, während das Erdreich sie begrub.
    Henry zog mich weiter, und wir gelangten zum Eingang des Tempels. Er war kein christliches Bauwerk. Das Bildnis einer Schlange, die sich selbst verschlang, empfing den Besucher über der Tür. Ich klopfte, woraufhin ein kleiner gebeugter Mann öffnete.
    »Die Blaue Lady hat uns geschickt«, sagte Henry.
    Der Priester musterte uns mit wässrigen Augen und trat zur Seite. Eine schmale Treppe wand sich tief in die Erde. Wir folgten dem Buckligen bis ganz nach unten in ein Amphitheater mit einem leuchtenden Wasserbecken statt einer Bühne in der Mitte. Viele Tunnel führten in andere Bereiche unter der Erde, dunklere Orte mit schattenhaften Wesen, von denen ich inzwischen wirklich genug gesehen hatte. Unser Führer blieb am Rand des Beckens stehen.
    »Wenn ihr Zuflucht sucht, müsst ihr in diesem Wasser baden.«
    »Müssen wir?«, murmelte ich. Ich betrachtete mich als jemand, der für alles offen ist, aber langsam wurde ich der endlosen Bräuche und Traditionen der Bewohner der Endwelt ein wenig müde. Andererseits konnten wir nirgendwoanders hin und hatten somit keine andere Wahl, als uns zu fügen. Ich knöpfte mein blaues Nadelstreifenkleid auf, während Henry seinen Anzug ablegte. Um ehrlich zu sein, hatte unsere Kleidung inzwischen schon ziemlich gelitten, und es war angenehm, sie auszuziehen. Sogar noch besser war es, in das leuchtende Becken zu steigen.
    Wir drehten uns einander zu, als wir eingetaucht waren. Das trübe Wasser verbarg unsere Nacktheit. Wir blieben auf Abstand, um den kleinen Rest von Schicklichkeit zu wahren, der uns noch verblieb, und blickten uns über das Becken hinweg an.
    »Geht es dir gut?«, fragte ich. Ich hatte Henry noch nie so blass gesehen.
    »Du warst sehr tapfer.«
    »Ich fürchte, Tapferkeit hat damit nicht viel zu tun. Ich hänge sehr an meinem Leben und nehme bereitwillig die Beine in die Hand, um es zu retten. Wäre ich tapfer gewesen, dann hätte ich versucht, Mrs. Norman zu retten.« Als ich es sagte, klang es, als würde ich ihm mangelnde Männlichkeit und Tapferkeit vorwerfen, was ich wirklich nicht wollte. Aber mir ging das Bild von der Haushälterin nicht aus dem Kopf. Mit ihrem wehrhaften Aufbäumen zum Schluss war sie die wirklich Tapfere gewesen. So unerfreulich sie auch gewesen sein mochte, dieses Geschick, das wir ihr ungewollt bescherten, hatte sie nicht verdient. Es war nicht ihr Kampf oder ihr Fehler gewesen. Ich ganz allein hatte sie in diese Lage gebracht. Ich sagte es laut, doch Henry schüttelte den Kopf.
    »Wie hättest du es wissen können?«
    »Das hätte ich. Ich hätte es wissen müssen. Aber   …« Ich goss eine Handvoll Wasser über meinen Kopf, um meine versengte Haut zu kühlen. »Wenn wir erst einmal die Kinder gefunden haben, bleibt noch Zeit genug für Selbstbezichtigungen.«
    Als der Bucklige mit unserer informellen Taufe im Becken zufrieden war, reichte er uns Kutten und führte uns durch einen Korridor, der von phosphoreszierenden Staubteilchen erhellt wurde, die in der Luft schwebten. Gelegentlich fingen sie sich in meinem Haar oder auf meiner Haut, dann leuchtete ich rosig und durchscheinend, als dränge Licht aus meinen Fingerspitzen.Henry strich eines der Teilchen von meiner Stirn. Die Berührung durch seine Haut war erregend trotz der Erschöpfung.
    »Danke«, sagte ich.
    »Gern geschehen.« Sein müdes Gesicht hellte sich auf, aber bevor ein Lächeln auf seine Lippen treten konnte, verdüsterte es sich wieder.
    Wir wurden in einen niedrigen, kleinen Raum gebracht, dessen einzige Einrichtung aus einer Vertiefung in der Mitte bestand, die mit Pelzen und Decken ausgelegt worden war. Die leuchtenden Staubteilchen hatten sich in den Fasern der Decken festgesetzt. Als wir in die Vertiefung stiegen, waren wir bald über und über damit bedeckt, so dass unsere Haut lebendig und unser Fleisch zu einer strahlenden Feuerstelle in der Mitte des Raumes wurde. Unser Gastgeber ließ uns allein. Wir versuchten zu schlafen, aber ich konnte meine Hände nicht ruhig halten. Ich war hypnotisiert von der Lichtspur, die sie hinterließen. Henry folgte meinem Beispiel, und zusammen zeichneten wir alles, was uns einfiel, in die Luft. Wir schrieben unsere Namen. Wir klopften uns ab, so dass die Staubteilchen zu schwebenden Sternen über unserer Schlafstelle wurden, bis wir uns schließlich nebeneinander

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