Charlston Girl
Eis.«
Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Auster gegessen. Ich fand immer, sie sehen eklig aus. Aus nächster Nähe sogar noch ekliger. Aber ich lasse mir nichts anmerken.
»Danke«, sage ich knapp.
Der Kellner verzieht sich. Reglos starre ich die sechs Austern vor meiner Nase an. Ich bin wild entschlossen, dieses vermaledeite Mittagessen durchzuziehen. Nur spüre ich einen leichten Druck in der Kehle, und meine Unterlippe würde beben, wenn ich sie ließe.
»Austern! Ich liebe Austern!« Fassungslos sehe ich, wie Sadie vor meinen Augen erscheint. Mit einer lässigen Seitwärtsbewegung sinkt sie auf Clives leeren Stuhl, sieht sich um und sagt: »Der Laden ist ganz lustig. Gibt es hier ein Cabaret?«
»Ich kann dich nicht hören«, knurre ich böse. »Ich kann dich nicht sehen. Du existierst nicht. Ich werde zum Arzt gehen und mir Medikamente besorgen, um dich loszuwerden.«
»Wo ist dein Lover?«
»Er war nicht mein Lover«, fahre ich sie leise an. »Ich wollte mit ihm Geschäfte machen, aber das ist deinetwegen schiefgegangen. Du hast alles ruiniert. Alles.«
»Oh.« Reuelos zieht sie die Augenbrauen hoch. »Ich wüsste nicht, wie ich das schaffen könnte, wenn es mich doch gar nicht gibt.«
»Tja, hast du aber. Und jetzt sitze ich hier mit diesen blöden Austern, die ich nicht will und mir nicht leisten kann, und ich weiß nicht mal, wie man sie isst...«
»Eine Auster zu essen, ist ganz einfach!«
»Nein, ist es nicht.«
Plötzlich fällt mir eine blonde Frau in einem bunt gemusterten Kleid am Nebentisch auf, die ihre makellos frisierte Begleitung anstößt und zu mir herüberzeigt, ich rede laut vor mich hin. Die Leute denken bestimmt, ich bin eine Irre. Eilig nehme ich mir ein Brötchen und bestreiche es mit Butter, wobei ich Sadies Blick ausweiche.
»Entschuldigen Sie.« Die Frau beugt sich herüber und lächelt mich an. »Ich habe unfreiwillig Ihr Gespräch belauscht. Ich möchte nicht stören, aber sagten Sie eben, Ihr Handy sei in Ihren Ohrring eingearbeitet?«
Ich starre sie an, und mein Hirn wühlt nach einer anderen Antwort als »Ja«.
»Ja«, sage ich schließlich.
Die Frau schlägt ihre Hand vor den Mund. »Wahnsinn! Wie funktioniert es?«
»Es hat einen speziellen... Chip. Ganz neu. Aus Japan.«
»Das muss ich haben.« Sprachlos starrt sie meinen billigen Ohrring aus dem Kaufhaus an. »Wo kriegt man so was?«
»Es ist noch ein Prototyp«, sage ich eilig. »Es gibt sie erst in einem Jahr oder so.«
»Na, und wie sind Sie da rangekommen?« Aggressiv sieht sie mich an.
»Ich... äh... kenne ein paar Japaner. Tut mir leid.«
»Dürfte ich mal sehen?« Sie streckt ihre Hand aus. »Würden Sie es mal einen Moment aus dem Ohr nehmen? Hätten Sie was dagegen?«
»Leider kommt gerade ein Anruf«, sage ich eilig. »Es vibriert.«
»Ich kann nichts sehen.« Ungläubig starrt sie mein Ohr an.
»Nur ganz leicht«, sage ich verzweifelt. »Es sind Mikrovibrationen. Ah, hallo, Matt? Ja, ich kann sprechen.«
Ich mime eine Entschuldigung, und widerwillig widmet sich die Frau wieder ihrer Mahlzeit. Ich sehe, dass sie alle ihre Freunde auf mich aufmerksam macht.
»Was redest du da?« Sadie mustert mich herablassend. »Wie kann ein Telefon in einem Ohrring sein?«
»Ich weiß es nicht. Fang du nicht auch noch an, mich danach auszufragen.« Wenig enthusiastisch tippe ich eine Auster an.
»Weißt du wirklich nicht, wie man Austern isst?«
»Hab noch nie eine probiert.«
Missbilligend schüttelt Sadie den Kopf.
»Nimm deine Gabel. Die Austerngabel. Los, mach schon!« Ich werfe ihr einen argwöhnischen Blick zu und tue, was sie sagt. »Dreh sie vorsichtig, achte darauf, dass die Auster sich von der Schale gelöst hat... dann gib etwas Zitrone darüber und nimm sie auf. So etwa.« Sie tut, als würde sie eine Auster aufnehmen, und ich mache es ihr nach. »Kopf in den Nacken, und schluck das ganze Ding auf einmal. Weg damit!«
Es ist, als schluckte man ein Stück geliertes Meer. Irgendwie schaffe ich es, das ganze Ding mit einem Mal zu schlürfen, greife mir mein Glas und nehme einen Schluck Champagner.
»Siehst du?« Sadie beobachtet mich gierig. »Ist es nicht köstlich?«
»Ganz nett«, sage ich widerwillig. Ich stelle mein Glas ab und betrachte sie einen Moment. Sie lümmelt auf dem Stuhl, als sei sie hier zu Hause, ein Arm hängt seitlich herab, mit baumelndem Perlenbeutel.
Sie ist nur in meinem Kopf, sage ich mir. Mein Unterbewusstsein hat sie erfunden.
Nur... mein
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