Charons Klaue
dieses leise Gespräch am Feuer ihm intimer vorkam als der Liebesakt?
Es war absurd.
Aber es war so.
13
Wo die Schatten niemals enden
»Das waren ganz erhebliche Verletzungen«, sagte der Schattenpriester. »Die Heilung wird viele Zehntage in Anspruch nehmen.«
»Dann zieht weitere Priester hinzu«, erwiderte Draygo Quick scharf. »Er hat keine Zehntage Zeit.«
Der Priester sah überrascht auf. So eine Behandlung hatte er nicht erwartet. Immerhin hatten er und seine Mitbrüder den Tiefling eben vom Tode errettet.
»Kaum jemand hätte gedacht, dass Erzgo Alegni dies überlebt, obwohl du das furchtbare Raubtier einfach brillant vernichtet hast«, entgegnete der Priester, wenn auch vorsichtshalber mit der angemessenen Würdigung des mächtigen Nesser-Fürsten.
Seine Worte entsprachen der Wahrheit, zumindest was Alegni betraf. So viel musste Draygo Quick zugestehen. Die Haut des Tieflings hatte in Fetzen gehangen, und ein Auge war aus der Höhle geschlagen und hatte nur noch an einer Sehne auf seiner Wange gebaumelt.
Und das waren nur die äußerlichen Verletzungen gewesen.
»Ich brauche ihn schnell«, verlangte Draygo Quick.
»Er wird überleben.« Mehr hatte der Priester nicht anzubieten.
»Ich brauche mehr als das«, warnte der Hexer. »Er muss binnen weniger Tage nach Faerûn zurückkehren und das abholen, was er verloren hat.«
»Das Schwert.«
»Unser Schwert«, betonte der alte Mann.
»Du könntest einen anderen schicken …«
»Es ist nicht meine Verantwortung. Es ist seine. Ruf weitere Priester, so viele, wie du auftreiben kannst. Flickt ihn zusammen und schickt ihn los.«
Der Priester sah ihn zweifelnd an.
»Um seinetwillen«, sagte Draygo Quick. »Und jetzt geh.«
Der Priester wusste, dass mit seinem Gegenüber nicht zu spaßen war. Also verbeugte er sich knapp und verschwand.
Draygo Quick atmete tief durch. Er hatte Erzgo Alegni protegiert und ihm zu einer einflussreichen Stellung in Nesser verholfen. Natürlich war er für den Tiefling nicht verantwortlich, aber Alegnis Siege und Niederlagen hatten dennoch Einfluss auf den wohlgehüteten Ruf von Draygo Quick.
Erzgo Alegni hatte ein Nesser-Artefakt verloren, ein kostbares, mächtiges Schwert, das Draygo Quick ihm persönlich übergeben hatte. Nach Gesetz und Brauch der Nesserer musste Erzgo Alegni es zurückholen, aber diesmal stand mehr auf dem Spiel, denn in letzter Zeit hatte Alegni sich nicht gerade ruhmreich geschlagen. Seine Expedition in die Gegend von Niewinter hätte schon vor Jahren Erfolg zeitigen müssen. Der unerwartete Vulkanausbruch und dessen Auswirkungen waren natürlich zum ungünstigsten Zeitpunkt gekommen, aber im anspruchsvollen Nesser-Reich verlor auch eine solche Entschuldigung irgendwann ihre Berechtigung.
Darum erschien der Verlust des Schwerts umso schlimmer, denn inzwischen herrschten höhere Erwartungen, und zudem hatte es noch weitere Verluste gegeben. Trotz Draygo Quicks umstrittener Entscheidung, Alegnis Garnison in Niewinter erheblich zu verstärken, hatten die Nesserer die Stadt verloren.
Obwohl die Tayer stark geschwächt und auf der Flucht waren, hatten sie die Stadt verloren.
Draygo Quick hatte am Morgen das Geflüster gehört, die Andeutungen, dass er einem gescheiterten Heerführer zu viel Ressourcen und Verantwortung überlassen hatte. Er hatte sogar mitbekommen, wie zwei mächtige Adlige seine eigenen Fähigkeiten in Zweifel zogen und sich fragten, ob das Alter wohl sein Urteilsvermögen getrübt hatte – hatte Draygo Quick schließlich je zuvor derartige Fehlentscheidungen getroffen?
Sie mussten Erzgo Alegni wieder auf die Beine bringen, und der musste das Schwert zügig zurückholen. Niewinter war verloren, daran war nichts zu ändern.
Der Verlust von Charons Klaue hingegen war etwas ganz anderes.
Der lang gestreckte Raum leuchtete im Feuerschein und vibrierte vor ursprünglicher, magischer Energie. Vierzig vom Urelementar befeuerte Schmieden glühten vor sich hin, und lautes Hämmern dröhnte durch die Hallen.
»Denkt Ihr an die Vergangenheit?«, fragte Tiago Baenre, als er zu Ravel trat, der mit geschlossenen Augen dastand, als würde er in unterschwelligen Wahrnehmungen schwelgen. »Oder malt Ihr Euch eher das volle Potenzial aus?«
»Beides«, antwortete der Zauberspinner. »So muss Gauntlgrym auf dem Höhepunkt des Zwergenreichs geklungen und gerochen haben.«
»Ihr wisst diesen Höhepunkt zu schätzen?«, fragte Tiago lauernd.
»Ich kann ihn würdigen«, sagte Ravel. »Besonders
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