Charons Klaue
Das brachte die Entscheidung. Er warf Entreri das Verbandszeug zu.
Bald darauf zogen sechs Leute durch die Kanäle, von denen die zwei leicht verletzten Menschen, ein Mann und eine Frau, die andere Frau auf einer improvisierten Trage mitschleiften, die Drizzt aus einem Umhang und den Knochen des Fischwesens gebaut hatte. Alle waren Bürger von Niewinter, oder zumindest waren sie das gewesen.
»Ich stamme aus der Gegend um Luskan«, erzählte die Frau, Genevieve, unterwegs. »Meine Familie hatte dort einen Hof.«
Sie beschrieb, wie sehr die Region heruntergekommen war, aber diese traurige Geschichte kannte Drizzt bereits.
»Kennst du eine Familie Stuyles?«, fragte er.
»Ja, der Name kommt mir bekannt vor«, erwiderte sie. »Aber das ist lange her. Ich bin schon viele Jahre hier. Schon vor der Zerstörung.«
»Aber du hast überlebt«, sagte Drizzt und sah dabei Entreri an. Der Meuchelmörder zeigte zumindest Interesse.
»Das haben wir alle«, erwiderte der Mann auf der anderen Seite der Trage. »Wegen dem da hinten.«
»Ja, wir sind schon viele Jahre hier«, fügte Genevieve hinzu. Mit gequälter Miene versuchte sie, das alles zu begreifen. »Nach der Zerstörung sind wir ein paar Mal hochgegangen. Vermutlich, um uns umzusehen, aber ich kann mich kaum noch daran erinnern.«
»Eine schöne Spionin bist du«, bemerkte Entreri sarkastisch.
»Es war das Fischwesen, das durch unsere Augen blickte«, erklärte sie. »Das konnte es. Es konnte praktisch alles.«
»Es hat die große Schlange getötet und ihre Brut gesteuert, praktisch mühelos«, fügte der Mann hinzu.
»Es waren also wirklich Babys«, folgerte Drizzt und erschauerte bei der Vorstellung einer blühenden Gesellschaft riesiger Würgeschlangen in den Kanälen von Niewinter.
Dann überließ er die drei sich selbst und ging mit seinen Kameraden voran.
Drizzt wollte sich mit Entreri unterhalten und ihm begreiflich machen, was für eine Art Eindringen das gewesen war. Er sollte mehr über die Macht des Abolethen erfahren, um diese Lektion ähnlich zu verarbeiten, wie er sich jetzt gegen das Eindringen seines alten Schwerts wehrte. Aber diesmal fand der Drow weder Zugang zu dem Mann noch zu Dahlia. Deshalb ließ er sich bald wieder zurückfallen und folgte ihnen mit den drei Verwundeten, denen er half, wo er konnte, während Entreri und Dahlia vorausgingen. Der Meuchelmörder hatte wieder die eine Hälfte von Dahlias Stab in der Hand, um sich gegen unerwünschte Einflüsterungen zu wehren. Blaues Licht war nicht mehr erforderlich, denn draußen ging die Sonne auf, und ihr Licht fiel durch ausreichend Ritzen oder vergitterte Schächte, um den beiden, die auch im Dämmerlicht ausreichend sahen, den Weg zu erhellen.
Sie unterhielten sich beim Gehen, und Drizzt konnte nur einige Fetzen ihres Gesprächs aufschnappen, was ihn noch mehr frustrierte. Nach wenigen Biegungen des Kanals konnte er selbst diese Worte nicht mehr verstehen, weil sie im Murmeln des fließenden Wassers untergingen. Inzwischen bewegten sie sich parallel zum nahen Fluss.
Dennoch beobachtete er sie und fühlte sich plötzlich sehr fremd.
Und sehr einsam.
»Bald«, flüsterte Entreri der Elfe weiter vorne zu.
Dahlia sah ihn neugierig an, ohne wirklich zu verstehen. Wollte er sagen, dass sie bald aus den Kanälen heraus wären? Vielleicht – aber sie vermutete noch mehr, besonders angesichts dieser seltsamen Vermischung persönlicher Geheimnisse.
Entreri nickte, und diese schlichte Geste drückte so viel aus, erkannte Dinge an, die weit tiefer lagen als die praktische Bedeutung, die sein Wort vermittelte.
»Bald«, sagte er und meinte, dass Dahlia bald eine passende Lösung finden würde.
»Bald«, sagte er, als wolle er andeuten, dass sie bald einen Augenblick Frieden verspüren würde.
»Bald.« Das war auch ein Hinweis darauf, dass das Ende ihrer größten Tragödie und ihr größter Augenblick …
Die Kriegerin blickte zur Seite, damit er nicht sah, dass ihre blauen Augen feucht wurden. Sie war nicht bereit, diesen Fremden, diesen einstigen – oder doch noch aktuellen – Feind, noch einmal in ihre Seele blicken zu lassen.
Oder war es nur die Scham?
9
Ein Anfang
Sie hatten die Schmiede!
Diese überwältigende Erkenntnis straffte Ravel Xorlarrins Haltung, als er zum vereinbarten Zeitpunkt seine Schwestern und einige weitere Anführer der Expedition aufsuchte.
Die anderen Höhlen, die sie seit dem Betreten von Gauntlgrym erobert hatten, hatten sie darauf hoffen lassen,
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