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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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es nur wenige, die so jung waren.«
    Sky hörte aufmerksam zu, während sein Vater – der nicht sein Vater war – erklärte, Lucretia Haussmann – die Frau, die Sky für seine Mutter hielt – habe an Bord einem Kind das Leben geschenkt. Doch dieses Kind, ein Junge, war wenige Stunden später gestorben. Titus war außer sich gewesen. Er hatte Lucretia erst Stunden, dann Tage lang die Wahrheit verschwiegen und seine ganze Phantasie mobilisiert, während man sie möglichst unter Beruhigungsmitteln hielt. Er fürchtete, die Wahrheit könnte sie umbringen, vielleicht nicht körperlich, aber sie könnte ihre Seele zerstören. Lucretia war eine der beliebtesten Frauen auf dem Schiff. Ihr Verlust wäre ein schwerer Schlag für alle und hätte womöglich verheerende Auswirkungen auf die Moral der Besatzung. Es war schließlich nur eine sehr kleine Gemeinschaft, in der jeder jeden kannte. Unter diesen Umständen wäre der Tod eines Kindes kaum zu verkraften.
    Und so fasste Titus einen schrecklichen Plan, und er sollte ihn bereuen, kaum dass er ihn ausgeführt hatte. Doch da war es bereits zu spät.
    Er stahl den Schläfern ein Kind. Wie sich zeigte, vertrugen Kinder die Reanimation viel besser als Erwachsene – das hatte etwas mit dem Verhältnis von Körpervolumen und Körperoberfläche zu tun –, es gab also keine größeren Probleme, als er das ausgewählte Kind erwärmte. Titus hatte eines von den Kleinsten gewählt, einen Jungen, um ihn gefahrlos als seinen toten Sohn ausgeben zu können. Doch seine Vorsicht erwies sich als übertrieben: Lucretia hatte ihr totes Baby nicht lange genug gesehen, um den Schwindel zu bemerken.
    Titus legte das tote Kind in die Koje und kühlte sie wieder herunter, dann betete er um Vergebung. Wenn der kleine Leichnam entdeckt wurde, wäre er selbst längst tot. Für die Eltern wäre es zwar schrecklich, mit einer solchen Nachricht geweckt zu werden, aber immerhin würden sie von einer neuen Welt erwartet und hätten genügend Zeit, ein neues Kind zu zeugen. Sie wären in einer ganz anderen Situation als Lucretia heute. Und wenn nicht… nun, ohne dieses Verbrechen könnte sich die Lage auf dem Schiff so sehr verschlechtern, dass es sein Ziel niemals erreichte. Das mochte extrem unwahrscheinlich sein, aber es überschritt nicht die Grenzen des Möglichen. Er musste daran glauben. Er musste überzeugt sein, in irgendeinem Sinn zum Wohle der Gemeinschaft gehandelt zu haben.
    Ein Verbrechen aus Liebe.
    Natürlich hätte Titus das alles nicht ohne Hilfe zustande gebracht, aber nur ein paar von seinen engsten Freunden hatten jemals die Wahrheit erfahren, und sie waren so zuverlässige Partner gewesen, dass sie nie ein Wort darüber verloren hatten. Und jetzt waren sie alle tot, sagte Titus.
    Deshalb war es unumgänglich geworden, Sky jetzt einzuweihen.
    »Verstehst du?«, fragte Titus. »Ich habe dir immer gesagt, du wärst etwas Besonderes, weißt du noch…? Das war ganz wörtlich zu nehmen. Du warst von uns allen der einzige Unsterbliche. Deshalb hatte ich dich zunächst getrennt von den anderen Kindern erzogen; deshalb warst du so lange allein in deinem Kinderzimmer. Zum Teil auch, weil ich dich vor Infektionen schützen wollte – du warst nicht weniger empfindlich als alle Kinder und bist auch jetzt als Erwachsener nicht gegen Ansteckungen gefeit. Doch hauptsächlich, weil ich selbst neugierig war. Ich wollte deine Entwicklungskurve studieren. Bei Menschen, die auf Unsterblichkeit behandelt wurden, verläuft sie flacher, Sky, und sie flacht mit zunehmendem Alter immer weiter ab. Wenn du dreißig oder vierzig Jahre alt bist, werden die anderen feststellen, dass du ungewöhnlich jugendlich aussiehst. Aber noch wird niemand die Wahrheit ahnen – das kommt erst, wenn du sehr viel älter bist.«
    »Ich bin unsterblich?«
    »Ja. Das verändert alles, nicht wahr?«
    Und das konnte auch Sky Haussmann nicht bestreiten.
 
    Einige Zeit später – sein Vater war wieder in jenen abgrundtiefen Schlaf gefallen, der wie ein Schatten des sicheren Todes anmutete – besuchte Sky den gefangenen Saboteur. Der Chimäre lag auf dem gleichen Bett wie Titus und wurde ebenfalls von Maschinen betreut, doch damit war das Ende der Gemeinsamkeiten auch schon erreicht. Die Maschinen überwachten den Mann nur, er war so stark, dass er keine aktive Hilfe benötigte. Zu stark sogar – auch noch, nachdem man ihm ein ganzes Magazin voll Schrot aus dem Körper geholt hatte.
    Man hatte ihn mit Plastikfesseln an das

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